Von Tilman Asmus Fischer
Eigentlich sind Touristen in Berlin etwas Nettes: Sie geben einem das Gefühl, in einer begehrenswerten Stadt zu leben – arm aber sexy. Sie kommen einem mit breitem Lächeln auf dem Gehsteig entgegen – weil sie nach dem Weg fragen wollen. Eigentlich… Anders schaut es aus, wenn man abends geschafft von der Arbeit kommt, sich durch die schlendernden Massen schieben muss, die scheinbar alle Zeit der Welt haben und diese am liebsten zu viert nebeneinander spazierend verbringen. Diese liebenswerten Geschöpfe, die am Ende der Rolltreppe ihren Stadtplan ausbreiten und zum Fels in der Brandung nachströmender Rolltreppenfahrer werden – wer kennt sie nicht?
Wie soll man da reagieren? Ist man den als Berliner selbst der bessere Tourist? Zumindest glaubt der Verfasser dieser Zeilen, dass man als Berliner durchaus an den Touristen wachsen kann. Geht es Ihnen, liebe Hauptstadtbürger, nicht auch bisweilen im Ausland so? Sie bleiben mitten auf dem Trottoir stehen, weil sie ‘das’ Fotomotiv entdeckt haben – doch dann treten sie an die Seite, lichten das Objekt der Begierde fast ebenso schön ab, derweil ein Dutzend anderer Passanten von Ihnen ungestört vorbeiziehen kann. Diesen freundliche Zug, im letzten Moment das eigene Fehlverhalten zu korrigieren – ihn haben wir uns durch schmerzliche Erfahrungen angeeignet Ja, so sei die kühne These, dem Berliner eröffnet der Umgang mit Touristen eine höhere Stufe sittlicher Reife.
Möge er diese auch im Umgang mit den Touristen im eigenen Kiez erreichen. Meist reagiert man nicht so, wie man es sich für sich selbst wünscht. Sollte man es vielleicht mit dem leisen Aufsagen eines Mantras versuchen? Etwa: „Ich mag Touristen, ich mag…“ Oder: „Danke für die Bettensteuer, danke…“
Erschienen in: Die Kirche – Evangelische Wochenzeitung 33/2014.