Abschied von Karl Fürst von Schwarzenberg
Es war vor 75 Jahren, dass der am 10. Dezember 1937 geborene Karl von Schwarzenberg mit seiner Familie nach der kommunistischen Machtübernahme in der Tschechoslowakei seine böhmische Heimat in Richtung Schweiz verließ, deren Staatsbürgerschaft die Familie bereits seit Generationen innehatte. Vor wiederum fast 35 Jahren kehrte der Unternehmer, Landwirt und Politiker – der seit 1979 Oberhaupt der Familie Schwarzenberg war – in sein Heimatland zurück, wo er in den vergangenen Jahrzehnten eine der prägenden politischen Gestalten sein sollte und als solche zu einem Brückenbauer zwischen dem Osten und Westen Europas wurde. Am 12. November 2023 ist Karl von Schwarzenberg in Wien gestorben.
Dort hatte er nach der Übersiedlung aus der Tschechoslowakei die Schule abgeschlossen und – ebenso wie in Graz und München – Rechts- und Landwirtschaftswissenschaften studiert. Schon bald übernahm der junge Adlige Verantwortung für die der Familie in Österreich sowie Deutschland verbliebenen Besitzungen. Nach dem Untergang des Kommunismus sollte er dies auch für das Schwarzenbergsche Grundeigentum in Tschechien tun können, das zu großen Teilen zurückerstattet wurde. Der Freiheit ganz Europas galt von Schwarzenbergs politischer Einsatz bereits in den vorangegangenen Jahren, insbesondere ab 1984, als er zum Präsidenten der Internationalen Helsinki Föderation für Menschenrechte gewählt wurde, die sich als Nichtregierungsorganisation für die Einhaltung der Menschenrechte in den KSZE-Staaten einsetzte.
2018 erinnerte sich von Schwarzenberg in einem Interview für diese Zeitung daran, wie er die Ereignisse des Jahres 1989 erlebt hatte: „Im Prinzip gespannt, was passieren wird. Man merkte, dass das sowjetische Reich in sich zusammenbricht. Bloß wie schnell dem so sein wird, haben wir alle nicht geahnt. Aber natürlich, die Ereignisse in Ungarn, dann in der DDR usw. waren hoch interessant. Am 17. November war ich nicht in Prag, sondern in Ungarn, oben bei Debrezin. Plötzlich kommt jemand zu mir und sagt: ‚Im slowakischen Fernsehen senden sie, es tut sich was in Prag.‘ Am nächsten Morgen bin ich losgefahren und habe schon von unterwegs angerufen, man soll mir ein Visum für Prag geben. Das wurde zunächst einmal abgelehnt, und mir wurde mitgeteilt, ich sollte wissen, dass ich in Prag nicht willkommen bin. Eine Woche später war das alles längst Vergangenheit. In den vorangegangenen Jahren war ich – als Vorsitzender der Internationalen Helsinki-Föderation für Menschenrechte – in sehr vielen Staaten Mitteleuropas unterwegs gewesen und man sah, dass sich etwas entwickelt; aber wie schnell das ging, habe ich selbst nicht geahnt.“
Diese rasanten Entwicklungen katapultierten den Fürsten bereits zu Beginn des Jahres 1990 in den Beraterstab Václav Havels. Nach dessen Wahl zum tschechoslowakischen Staatspräsidenten leitete er bis 1992 die Prager Präsidentschaftskanzlei. 1997 wirkte er an der Entstehung der Deutsch-Tschechischen Erklärung mit. Die Versöhnung zwischen Deutschen (bzw. Österreichern) und Tschechen – sowie die Verständigung zwischen Ostmitteleuropa und den Staaten Westeuropas – waren nicht nur ein zentrales Anliegen seiner Politik. Vielmehr war kaum jemand anders wie er dazu befähigt, der er aufgrund seines Lebensweges und der daraus resultierenden Beziehungen mit östlichen wie westlichen Perspektiven und Paradigmen vertraut war. So entschieden, wie er selbst für Rechtsstaat, Demokratie und gegen Nationalismus und Populismus eintrat, war es ihm doch zugleich möglich, eine vermittelnde Position zwischen den Visegrád-Staaten und den westlichen EU-Mitgliedsstaaten einzunehmen. Als wir vor fünf Jahren auf die Lage in der Republik Polen zu sprechen kamen, setzte er seiner Kritik an der damals regierenden PiS hinzu:
„Aber, bitte: Gibt es einen politischen Gefangenen in ganz Polen? Ein politischer Bekannter aus Deutschland hat im Gespräch mit mir furchtbar auf die Polen geschimpft. Da habe ich ihn angesehen und gesagt: Ich bin ein sehr alter Mann. Ich erinnere mich an die Politik der 1950er Jahre. […] Zu dieser Zeit waren in einem Teil der Führungskreise der Bundesrepublik durchaus ähnliche Vorstellungen vertreten wie heute in der PiS. Nur hat sich Deutschland bis heute weiterentwickelt. Polen aber ist erst vor 30 Jahren frei geworden und befindet sich in einem Nachholprozess – auch Polen muss sich weiterentwickeln.“
Dem tschechischen Parlament gehörte von Schwarzenberg ab 2004 als Senator und seit 2010 als Mitglied des Abgeordnetenhauses an. Nach Gründung der Mitterechtspartei „Top 9“ im Jahre 2009 war er für sechs Jahre ihr Vorsitzender. Bereits 2007 bis 2009 und dann nochmal von 2010 bis 2013 war von Schwarzenberg zudem Außenminister der Tschechischen Republik. In diese Zeit fiel die erste EU-Ratspräsidentschaft seines Heimatlandes. Europapolitisch trat er dafür ein, dass der Staatenbund „wesentlich“ werde, wie er in unserem Gespräch erläuterte: „Heute noch sind die Außenpolitik, Verteidigungspolitik, Sicherheitspolitik und Energiepolitik national. Und was bestimmt man in Brüssel? – Was ein Naturschutzgebiet werden soll; ob ich einen Brotaufstrich ‚Marmelade‘ nennen darf oder nicht; oder ob ein köstlicher Käse aus der Tatra, Ostipok, unter dem slowakischen oder polnischen Namen auf dem Markt geführt wird. Wir sollten radikal, aber wirklich radikal Veränderungen vornehmen: Alle diese Dinge, die nicht unbedingt notwendig gemeinsam gelöst werden müssen, sollten wir zurückgeben an die Staaten, manchmal sogar Regionen. Demgegenüber müssen Außen-, Verteidigungs-, Sicherheits- und Energiepolitik vergemeinschaftet werden, damit die EU wesentlich wird.“
Diese Politik auch als Staatspräsident vorantreiben zu können, war von Schwarzenberg nicht vergönnt: Bei der Präsidentschaftswahl 2013 unterlag er dem Populisten Miloš Zeman. Davon ließ sich der Fürst jedoch nicht entmutigen und setzte sein politisches Wirken fort – bis 2021 im Parlament und darüber hinaus als Ratgeber und öffentlicher Denker. Dass er dabei oft auch deutliche Worte finden konnte, durfte auch der Autor dieser Zeilen erfahren, als er ihn auf das oft bemühte Plädoyer ansprach, ein verstärktes Bewusstsein für die kulturellen und geistigen Wurzeln Europas zu entwickeln: „Ich hasse diese Phrasen. Wichtig wäre, dass wir nüchtern überlegen: Was bringen wir durch? Wie können wir Europa vereinigen? Wo sind die wirklichen Schwierigkeiten? Einfach Tacheles reden, statt große Reden zu halten. Die Lage ist viel zu ernst, als dass wir noch Zeit verlieren könnten.“ So ist die Lage weiterhin und im Todesjahr des Fürsten vielleicht noch mehr als im Jahr 2018. Nun erst recht keine Zeit zu verlieren und Tacheles zu reden – das dürfte es sein, was dem Vermächtnis Karls von Schwarzenberg angemessen ist.
Tilman Asmus Fischer
Erschienen in: Der Westpreuße – Begegnungen mit einer europäischen Kulturregion 4/2023.