Sich Kirche wieder angewöhnen

In seinem neuen Buch diskutiert Michael Meyer-Blanck theologischen Grundfragen der Kirche. Der emeritierte evangelische Professor für Praktische Theologie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn spricht im Interview mit Tilman A. Fischer über Herausforderungen für die Kirche angesichts der Corona-Pandemie und des „Synodalen Weges“.

Herr Meyer-Blanck, haben die Erfahrungen der zurückliegenden drei Jahre Corona-Pandemie Ihr Nachdenken über die Kirche verändert?

Es ist nochmal sehr deutlich geworden, was bei mir auch eine Leitthese ist: Kirche – insbesondere evangelische Kirche – ist Kommunikation. Sie ist auch Institution und Organisation, vor allem aber Inszenierung und Kommunikation. Kommunikation gibt es zum einen unter Anwesenden – Niklas Luhmann nennt das dann Interaktion; zum anderen funktioniert sie auch medial, heute vor allem elektronisch. Der Glaube ist nichts, was man nur durch Anschauung oder gedankliches Mitvollziehen für sich zum Klingen bringen kann. Sondern man ist immer angewiesen auf andere, seien die nun an Bildschirmen oder mit einem physisch zusammen. Vor allem im Lockdown ist deutlich geworden, wie sehr man sich sehnt nach Interaktion, also nach Kommunikation unter Anwesenden.

Wie haben diese Erfahrungen die Kirche verändert?

Es ist ein Paradoxon: Man sehnt sich nach Interaktion und gewöhnt sie sich gleichzeitig ab. Vielfach sind die Gottesdienstbesucherzahlen nun im dritten Jahr nach dem Ausbruch der Pandemie – nachdem Interaktion wieder möglich ist – nicht wieder auf dem Niveau wie vorher. Das ist ein ähnliches Schicksal, wie es die Theater und Opern erlebt haben, die einen teils massiven Rückgang an Besuchern zu verzeichnen haben. Ich hoffe, dass wir wieder auf den alten Stand kommen oder sogar auf einen besseren: Jetzt können wir endlich wieder die Liturgie feiern, uns in den Kreisen und Chören treffen. Das alles kommt hoffentlich wieder und wird noch mehr genossen als vorher. Viele Menschen haben sich die Kirche abgewöhnt – und sie gewöhnen sie sich hoffentlich wieder an.

Was können Gemeinden tun, um es Menschen zu erleichtern, sich Kirche wieder anzugewöhnen?

Einladende Kirche sein, jedem das Gefühl geben: Er und sie ist wichtig, willkommen, wird als Person wahrgenommen und wertgeschätzt. Das ist das große Geheimnis gelingender Gemeindearbeit: „Du bist hier willkommen, Du bist wichtig, durch Dich hat die Gemeinde einen wichtigen Zuwachs an Fähigkeiten oder an Spaß und Freude!“ Dabei müssen die Leute einzeln wieder zurückgewonnen werden, wenn sie sich von der Kirche so weit entwöhnt haben, dass es kaum noch Berührungen gibt.

Die Pandemie betraf Kirchen aller Konfessionen – vor allem katholische Geschwister waren zugleich von den Auseinandersetzungen um den „Synodalen Weg“ und die mit dem Reform-Diskurs verquickten Skandale um Missbrauchsfälle betroffen. Macht und Sexualität ist auch ein Thema Ihres Buches. Wie stellt es sich aus evangelischer Perspektive dar?

Sexualisierte Gewalt ist auf jeden Fall ein Problem – nicht nur für die katholische Kirche, sondern auch für die evangelische. Es ist nichts Schlimmeres denkbar, als wenn ein Pädagoge, der Kinder und Jugendliche fördern soll, Kindern Gewalt antut und sie missbraucht. Das ist ein performativer Selbstwiderspruch. Das ist genauso schlimm in der evangelischen Kirche wie in der katholischen – auch wenn die Fallzahl vielleicht geringer ist. Umso schlimmer ist dann jeder einzelne Fall und jeder einzelne Fall muss strafrechtlich verfolgt und, was das Gedächtnis der Gemeinde angeht, offen bearbeitet werden. Fälle gibt es jedenfalls auch in der evangelischen Kirche.

Was tut in Sachen kirchlicher Aufarbeitung evangelischerseits Not?

Die EKD muss vor allem zeigen, dass sie bei diesem Thema „an Deck“ ist, dass sie wachsam ist und die Entwicklungen verfolgt, durch empirische Untersuchungen und Studien die Sache aus der Vogelperspektive begleitet, während die Gemeinden und Landeskirchen in ihren Bereichen für Aufklärung zu sorgen haben.

Lassen Sie uns zuletzt nochmal auf die Lage der katholischen Christen zurückkommen: Wie bewerten Sie die Resultate des „Synodalen Weges“ in Deutschland – und die Perspektive ihrer Umsetzung?

Mutig, ich hoffe, mutig genug, ich hoffe, so mutig, dass tatsächlich etwas passiert. Man hat einen langen Weg des Abwägens gewählt und man kann ja sagen: Demokratie ist, wenn keiner zufrieden ist. Und insofern ist das doch ein demokratisches Stück Wegs gewesen, den der Synodale Weg gegangen ist. Insbesondere das Predigen von Frauen in der Messe, die Segnung von gleichgeschlechtlichen Paaren und die Forderung nach Öffnung der Ämter sind Dinge, die mit der gegenwärtigen katholischen Praxis in Widerspruch stehen, aber nun keineswegs mehr völlig unmöglich sind. Insofern hoffe ich, dass das ein kleiner Stein im Mosaik „Reform der katholischen Kirche“ ist.

Zum Weiterlesen: Michael Meyer-Blank, Kirche. Reihe Theologische Bibliothek. Vandenhoeck & Rupprecht, Göttingen 2022, 345 Seiten, 39 Euro.

Erschienen in: Die Kirche – Evangelische Wochenzeitung 22/2023.

„Der Heilige Stuhl wackelt ein bisschen“

Weltgebetstag 2023: Gespräch mit dem taiwanesischen Repräsentanten in Deutschland

Taiwan steht im Zentrum des Weltgebetstags 2023, der heute begangen wird. Aus diesem Anlass hat zeitzeichen-Mitarbeiter Tilman Asmus Fischer mit Professor Jhy-Wey Shieh gesprochen. Er ist Repräsentant von Taiwan in der Bundesrepublik Deutschland.

Ende der 1980er-Jahre gelang der Republik China, so der offizielle Name, die erfolgreiche Transformation von einer Militärdiktatur in eine lebendige Demokratie. Der Volksrepublik China gilt Taiwan jedoch als abtrünnige Provinz – und weltweit erkennen nun 14 Staaten die Republik als souveränen Staat an. Christen standen als politische Akteure sowohl auf der Seite der Demokratiebewegung als auch derjenigen der mit Kriegsrecht regierenden Kuomintang. Heute genießen insbesondere buddhistische Tempel politischen Einfluss. Vor dem Hintergrund dieser Gemengelage sieht Professor Jhy-Wey Shieh, der Repräsentant Taiwans in der Bundesrepublik Deutschland, den diesjährigen Weltgebetstag als ein hoffnungsvolles Zeichen.

zeitzeichen: Exzellenz, drei Tage vor dem heutigen Weltgebetstag hat Taiwan wie jedes Jahr an den 28. Februar 1947 erinnert. Welche Ereignisse verbinden sich mit diesem Datum?

Jhy-Wey Shieh: 1945 hatte die Republik China, die damals ganz China umfasste, die Herrschaft über Taiwan übernommen und von der japanischen Kolonialherrschaft befreit. Schnell wurden jedoch die hiermit verbundenen Hoffnungen der Taiwaner auf ein Ende der kulturellen Unterdrückung enttäuscht, da die in China regierende „Nationale Volkspartei Chinas“ Kuomintang (KMT) unter Chiang Kai-shek ihrerseits Taiwans Sprache und kulturelle Identität zugunsten des Mandarin und einer gesamtchinesischen Identität zu unterdrücken begann. Proteste der Taiwaner und gewaltsame Reaktionen der chinesischen Regierung führten ab dem 28. Februar 1947 zu einem Massaker, dem 10.000 bis 30.000 Zivilsten zum Opfer fielen. Zugleich war der 28. Februar 1947 ein Vorbote der Zeit von 1949 bis 1987, in der die KMT – nach der Vertreibung vom Festland durch die Kommunisten unter Mao – Taiwan mit dem Instrument des Kriegsrechts als Ein-Parteien-Staat regierte.

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Jenseits der Stereotype

Das „Berliner Religionsgespräch“ widmete sich der Orthodoxie in Zeiten des Krieges

Von Tilman Asmus Fischer

Bereits seit Jahren lädt die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften gemeinsam mit dem Verlag der Weltreligionen, Deutschlandradio Kultur und der Udo Keller Stiftung Forum Humanum zu den „Berliner Religionsgesprächen“ ein. Dabei sei jedoch noch nie ein aktuelleres Thema formuliert worden wie für die Diskussion am 4. Oktober, führte Akademiedirektor Christoph Markschies in seiner Begrüßung aus: „Orthodoxien im Krieg – Heiliges Russland und christlicher Westen“.

Der evangelische Theologe markierte es als dringende Notwendigkeit, den westlichen Blick auf ‚die Orthodoxie‘ zu differenzieren. Am Beispiel des 1913 von Adolf von Harnack gehaltenen Vortrags „Der Geist der morgenländischen Kirche im Unterschied von der abendländischen“ verdeutlichte der habilitierter Kirchenhistoriker die Traditionen der Stereotypisierung der Orthodoxie als „das schlechterdings Andere der abendländischen Kirche“: Dass von Harnack die östliche Christenheit als „versteinerte Kirche“ der westlichen als Kirche der Aufklärung gegenüberstellte, erklärte Markschies freilich weniger mit mangelnder Kenntnis als vielmehr aus dem „Krieg“ des gebürtigen Deutschbalten gegen die Orthodoxie in Abwehr einer Russifizierung des Baltikums.

Dass Markschies es nicht bei den einleitenden Worten beließ, sondern zudem – für den erkrankten RBB-Redakteur Harald Asel – kurzfristig die Moderation übernahm, gereichte der Veranstaltung zum Vorteil, insoweit der Hausherr seine eigene fachliche Expertise in das Gespräch einbringen konnte.

In diesem wandte sich Emmanuel Sfiatkos, Vikarbischof der Griechisch-Orthodoxen Metropolie in Deutschland, kritisch gegen die durch die Titelformulierung zum Ausdruck gebrachte Diagnose einer Spaltung der Orthodoxie: Die Orthodoxen verstünden sich – trotz innerer Auseinandersetzungen und des Trends zur Autokephalie – als eine orthodoxe Kirche, geeint durch Kirchenrecht, Lehre und Ritus. Der gegenwärtige Krieg sei ein solcher zwischen zwei Staaten, nicht jedoch zwischen zwei Kirchen. Da er andererseits nicht mit Kritik am Moskauer Patriarchen Kyrill zurückhielt – der die orthodoxe „Theologie durch den Wolf gedreht“ habe – blieben Sfiatkos Wortbeiträge letztlich nicht frei von einer eigentümlichen Spannung zwischen dem ekklesiologischen Postulat kirchlicher Einheit und deutlichen Anzeichen für einen gegenläufigen Zustand der sichtbaren Kirche.

Dezidiert gegen die Darstellung einer trotz Autokephalie-Bestrebungen geeinten Orthodoxie wandte sich die Theologin Regina Elsner vom Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien Berlin. Historisch betrachtet sei die Autokephalie in den seltensten Fällen konfliktfrei vergeben worden. Ein Schlüsselmoment der gegenwärtigen Auseinandersetzung in und mit der Orthodoxie sei die Grundentscheidung, was man unter „Theologie“ verstehe – bzw. ob man Sozialethik als Theologie verstehe. Denn hiermit – so folgt aus Elsners Ausführungen – entscheidet sich letztlich, ob Fragen der politischen Ethik theologische Relevanz beigemessen wird, was dann auch die Haltung von Kirchen zu politischen Entscheidungen als ein theologisches Problem erweist. Trotz jüngerer Aufbrüche sei, so Elsner, die Frage nach dem guten Leben allerdings in der orthodoxen Theologie wenig entwickelt.

Wie aber ist das gegenwärtige theologische Profil der russischen Orthodoxie zu modellieren? Als Phänomen eines bei allen Kontinuitäten dennoch in den zurückliegenden 30 Jahren wahrnehmbaren „Prozesses der Veränderung“ in der Russisch-orthodoxen Kirche (ROK) auf gemeindlicher wie akademisch-theologischer Ebene markierte die – digital zugeschaltete – Religionssoziologin Kristina Stöckl (Universität Innsbruck) die „Öffnung hin zu modernen Themen“ wie demjenigen der Menschenrechte. Kyrill vermittle allerdings den Eindruck, als habe sich in den vergangenen Jahrzehnten nichts gewandelt. Der Züricher Fachjournalist für Religion, Kirche und Gesellschaft Michael Meier charakterisierte seinerseits die vom gegenwärtigen Patriarchen vertretenen Positionen als per se kaum theologisch: Was sich als Theologie ausgebe sei „nationalistisch und ideologisch aufgeladen“ – demgegenüber blieben Aspekte der Kontingenzbewältigung außen vor.

Was bedeuten diese Voraussetzungen für den künftigen ökumenischen Dialog zwischen den westlichen und östlichen Kirchen? Durch die Bank problematisierten die Diskutanten die in den vergangenen Jahrzehnten dominante Fokussierung der evangelischen wie katholischen Kirchen auf die ROK als orthodoxen Gesprächspartner. Thomas Németh, Professor für die Theologie des christlichen Ostens an der Universität Wien sowie Priester der ukrainischen griechisch-katholischen Kirche, warf – gleichfalls digital zugeschaltet – die spannende Frage auf: „Was hat die katholische Kirche und evangelischen Kirchen so an der ROK so fasziniert? Die Größe oder etwas, was einem in der eigenen Kirche fehlt?“

In dieser, aber auch in vielen weiteren Hinsichten verdeutlichte das Berliner Religionsgespräch die Notwendigkeit einer vertieften theologischen Auseinandersetzung mit der und nicht nur über die Orthodoxie. Vor dem Hintergrund der politischen Verwerfungen dieses Jahres mag dabei auch ein Gedanke der Reflexion wert sein, den Heinrich Schlier ausgehend von der Mahnung des Apostels Paulus zur „Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens“ (Eph 4,3) formulierte: „Weicht dieser Friede […], dann fällt auch die Einheit dahin. Und umgekehrt: zerbricht die Einheit, dann zerbricht auch der Friede, den die Einheit stützt. Und zwar teilt sich, wie die Geschichte lehrt, die Friedlosigkeit von dem eigentlichen Ort des Friedens, der Kirche, dem Kosmos mit, so daß allmählich auch dort kein Friede mehr geschlossen werden kann. Die zerbrochene Einheit der Kirche ist der Unfriede. Der Unfriede läßt sie und die Welt nicht mehr zur Einheit kommen.“

Erschienen am 13. Oktober 2022 in der Zeitung „Die Tagespost“ (www.die-tagespost.de).

Länderporträt Taiwan

Blickwechsel von Tilman Asmus Fischer

Zwei Topoi bestimmten die neue mediale Aufmerksamkeit, die in den vergangenen zwei Jahren der ostasiatischen Inselrepublik Taiwan zukommt: auf der einen Seite eine zumindest über lange Strecken mustergültige Bewältigung der Corona-Pandemie durch Politik und Zivilgesellschaft; auf der anderen Seite das – zuletzt anlässlich des Besuchs von Nancy Pelosi – immer lauter werdende Säbelrasseln der Kommunistischen Partei Chinas, die nach Hongkong lieber gestern als heute die demokratische Republik China, so der offizielle Name Taiwans, der Volksrepublik China einverleiben würde. Was ist dies für ein Land, dessen Gesellschaft für ihre Resilienz bewundert wird, das jedoch weltweit von lediglich 14 Regierungen – darunter leider nicht die deutsche, jedoch der Vatikan – als souveräner Staat anerkannt wird?

Diese Frage stellt sich bei einem Interesse, das über tagespolitisch relevante Schlagzeilen hinausgeht. Wer sie sich stellt, kann so manches lernen über eine Insel mit einem faszinierenden interkulturellen – und in Teilen auch interreligiösen – Erbe, über friedliche politische Transformationen sowie über eine Gesellschaft, die Liberalismus und Traditionsbewusstsein verbindet. Einblicke in dieses breite Themenspektrum eröffnet die unlängst erschienene „Gebrauchsanweisung für Taiwan“ des preisgekrönten deutschen Schriftstellers Stephan Thome. Sie liest sich gleich einer – wenn auch nicht unkritischen – Liebeserklärung an das Land, in das er als Student kam und das ihm – inzwischen mit einer Taiwanerin verheiratet – zur Heimat wurde. Ebenfalls heuer erschien sein Roman „Pflaumenregen“, der die Zeitgeschichte Taiwans literarisch verarbeitenen.

Ein starkes zeitgeschichtliches und erinnerungskulturelles Interesse prägt auch sein Länderporträt – in besonderer Weise mit Blick auf die Diktatur der Nationalen Volkspartei Chinas „Kuomintang“. Diese regierte 1949 bis 1987 unter Kriegsrecht auf Taiwan, wohin sich die Regierung der Republik China zurückzog, als Mao auf dem Festland die Volksrepublik errichtete. An diese Zeit erinnert heute die Gedenkstätte auf Lü Dao – bis 1987 Gefängnisinsel der Kuomintang, anhand derer Thome feinfühlig die Prägekraft der Unterdrückungserfahrungen für das kollektive Gedächtnis und das demokratische Selbstbewusstsein des heutigen Taiwans entfaltet.

Gleichfalls gehört es zu Thomes Handschrift, dass ihr die fachliche Expertise des studierten Sinologen, Philosophen und Religionswissenschaftlers abzuspüren ist. So tut es nicht Wunder, dass just eines der umfangreichsten Kapitel der taiwanischen Religionsgeschichte gewidmet ist. Thome arbeitet heraus, wie gerade die autochthone religiöse Tradition in der Zeit der Unterdrückung durch die japanischen Kolonialherren bis 1945 zu einem wesentlichen Identitätsmarker wurde.

Heute sind vor allem buddhistische Laienorganisationen in der Zivilgesellschaft sichtbar – immer wieder aber auch die christliche Minderheit. Deren Geschichte ist ambivalent, da der 1975 gestorbene Diktator Chiang Kai-shek selbst als Konvertit der methodistischen Kirche angehörte, die ihn stützte. Währenddessen standen Presbyterianer und Katholiken auf der Seite der unterdrückten indigenen Völker, deren Sprache und Kultur sie schützten und die ihrerseits bis heute in der großen Mehrheit Christen sind.

Stephan Thome: Gebrauchsanweisung für Taiwan, Piper, 224 Seiten, ISBN 978-3-492-27745-7; 15,00 Euro

Erschienen in: Glaube + Heimat. Mitteldeutsche Kirchenzeitung 39/2022; unter anderem Titel in: Evangelischer Kirchenbote 40/2022.

Das Querfurter Papier: Im Visier der Stasi

Am 29. April 1977 unterzeichneten systemkritische Theologen der evangelischen und katholischen Kirche in Querfurt/Sachsen-Anhalt ein Memorandum über „Frieden und Gerechtigkeit“. Der Theologe Lothar Tautz, damals als Theologiestudent Mitverfasser des Dokuments, sprach mit Tilman A. Fischer über die Entstehung und die Bedeutung des Querfurter Papiers.

Herr Tautz, wie kam es zu Ihrer Beteiligung an dem von der Stasi als „Querfurter Papier“ bezeichneten Memorandum „Frieden und Gerechtigkeit heute“?

Ich studierte Theologie an der Kirchlichen Hochschule in Naumburg. Die Themen Frieden und Menschenrechte waren für mich und eine ganze Menge anderer, vor allem Theologiestudenten, besonders wichtig – für uns persönlich ganz existenziell, aber auch mit Blick auf die politische Situation in Europa. 1975 hatte die DDR die KSZE-Schlussakte von Helsinki unterzeichnet. Ihr „Korb 3“ beinhaltete wesentliche menschen- und bürgerrechtliche Zusicherungen. Daraus folgerten wir: Dann muss das für uns auch irgendwie gelten!

Was folgte für Sie und Ihre Gleichgesinnten hieraus?

In Naumburg trafen wir uns in der Studentengemeinde, lasen die UN-Charta der Menschenrechte und arbeiteten heraus, dass viele von diesen Rechten bei uns nicht einmal ansatzweise verwirklicht waren. In diese Zeit fallen zwei Ereignisse, die uns alle schockierten: die Selbstverbrennung von Pfarrer Oskar Brüsewitz, den wir in Naumburg persönlich kannten, sowie die Ausweisung von Wolf Biermann und Teilen seines Freundeskreises. In dieser Situation haben wir uns gesagt: Jetzt versuchen wir erstmal, in Naumburg eine Gruppe zu etablieren, die sich intensiv mit den Menschenrechten befasst und das Ziel hat, dazu etwas zu formulieren. Die Charta 77 war dafür unser Vorbild.

Wie fand diese Initiative Anschluss an weitere kirchliche Kräfte, mit denen sie dem Papier seine letztliche Gestalt gaben?

Es war naheliegend, zu fragen, wer in der Kirche – gerade bei denjenigen, die bereits im Pfarramt waren – „auf unserer Seite“ ist. Denn wir wussten, dass die oberen Kirchenfunktionäre eher zurückhaltend waren, was oppositionelle Bestrebungen anbetraf. Da lernte ich Pfarrer Wolfram Nierth kennen, der damals Pfarrer in Schraplau war und mir davon berichtete, dass es in Querfurt einen ökumenischen Arbeitskreis von Pfarrerinnen und Pfarrern gebe, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, ein Papier zu Menschenrechtsfragen zusammenzustellen.

Ich staunte, welche Themen dort verhandelt wurden – im positiven Sinne alltagslastig aus der Situation der Gemeinden heraus: Ausschluss von Jugendlichen, die sich nicht an der Jugendweihe beteiligten, vom Studium; Ausschluss von beruflicher Karriere für Menschen ohne Mitgliedschaft in einer der Blockparteien; Beschwernisse der Reisefreiheit. Letztes Stichwort kommt dann auch im Querfurter Papier vor.

Dies klingt auf den ersten Blick aber nicht unbedingt nach den ‚großen‘ Themen, die Sie in Naumburg umtrieben.

Ich schlug dem Querfurter Kreis vor, dass wir seitens der Naumburger Gruppe Inhalte aus der Friedensthematik einbringen könnten. Wir haben dann selbst Thesen aufgestellt, die ins Querfurter Papier Eingang gefunden haben. Dabei haben wir das Thema Frieden unter das Stichwort der Versöhnung gestellt und von der individuellen über die gesellschaftliche bis hin zur internationalen Ebene durchdekliniert. Das gipfelt in der Fundamentalkritik: „Friede ohne Versöhnung ist kein echter und bleibender Friede. Er stellt nur die Fortsetzung des Kampfes mit anderen Mitteln dar. Wir können dem Prinzip des Klassenkampfes nicht zustimmen, weil es die Versöhnung mit dem Gegner von vornherein ausschließt.“

Welchen Einfluss konnten Ihre Ideen in der kirchlichen und gesellschaftlichen Öffentlichkeit erreichen?

Das Papier war von Beginn an mit einer Unterschriftensammlung unter Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Kirchen verbunden, die sich mit seinem Inhalt solidarisierten. Wir hatten gehofft, dass die beiden leitenden Geistlichen – der katholische Bischof Braun und der evangelische Bischof Krusche – sich das Papier zu eigen machen und es über die offiziellen kirchlichen Kanäle, etwa auf Synoden, verbreiten würden. Das alles gelang nicht, vor lauter Angst – wie Krusche selbst eingestand –, Einschränkungen des kirchlichen Gemeindelebens zu riskieren. Hinzu kam, aufgrund der Beteiligung von uns Naumburger Studenten, die Sorge um die Existenz der Kirchlichen Hochschule.

War damit das Querfurter Papier gänzlich wirkungslos?

Nein. Unsere Botschaft gelangte in viele Kirchengemeinden und vor allem Initiativgruppen wie dem Aktionskreis Halle mit Joachim Garstecki. Wichtig war z. B. auch, dass Wolfgang Ullmann, damals Rektor unserer Hochschule, das Papier in die Hand bekommen hatte. Denn gut zehn Jahre später war er an der Ausformulierung derjenigen Programmschrift beteiligt, in der die Initiative „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung“ von der SED Dialog und Reformen forderte. Damit wurde aufgegriffen, was wir bereits in Querfurt formuliert hatten: „Statt Einübung in den Hass brauchen wir Tränen in Toleranz, statt Abgrenzung Brücken der Verständigung, statt geistiger und materieller Aufrüstung Bereitschaft, füreinander Opfer zu bringen.“

Auch in weiteren programmatischen Papieren vom Ende der 1980er Jahre finden sich Gedanken und Formulierungen, die auf Querfurt zurückgehen. Das zeigt, dass unser Papier zwar keine Massenwirksamkeit entfalten konnte, aber an die richtigen Menschen gelangte, die die Gedanken weiterentwickelten.

Wenn wir heute, weitere 35 Jahre später auf das Querfurter Papier blicken – was sagt es uns im „Heute“ des Jahres 2022?

Versöhnung muss die Grundlage jeglichen menschlichen Zusammenlebens sein. Wenn sie dies nicht ist, kommt es zu Tot und Zerstörung. Wir haben es nach 1990 versäumt, dem Wort der Versöhnung den nötigen Raum zu geben. Menschlich wie politisch hätten wir mit Blick auf den früheren Ostblock viel mehr Kontakte aufbauen und Netzwerke knüpfen müssen. Wir haben ein Versöhnungshandeln versäumt, das vielleicht Kriege hätte verhindern können.

Heute wiederum müssten wir symbolisch eine Pflugschar zu einem Schwert umschmieden; und zwar auch als Friedenshandeln, da es jetzt mit Bonhoeffer gilt, nicht nur die Verletzten unter dem Rad zu verbinden, sondern dem Rad in die Speichen zu greifen.

Erschienen in: Glaube + Heimat. Mitteldeutsche Kirchenzeitung 25/2022 und Die Kirche – Evangelische Wochenzeitung 26/2022.

Sünde oder einfach Liebe?

Theologinnen und Theologen der großen Weltreligionen beleuchteten die unterschiedlichen Sichtweisen von Homosexualität bei einem Religionsgespräch in der Berliner Akademie der Wissenschaften

Von Tilman Asmus Fischer

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine wurde vom Oberhaupt der Russisch-orthodoxen Kirche, Patriarch Kyrill, nicht zuletzt als eine „Verteidigung“ gegen Gay- Prides legitimiert. Auch die Begründung der militärischen „Spezialoperation“ durch den russischen Präsidenten steht in einem größeren ideologischen Zusammenhang, in dem sich Russland von einem liberalistischen „Gayropa“ bedroht sieht. Hieran erinnerte Thomas Sparr vom Verlag der Weltreligionen in seinem Schlusswort zu einer gemeinsam mit der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW) am 26. April in Berlin ausgerichteten Podiumsdiskussion. Damit aktualisierte Sparr zugleich die für sich genommen nicht neue Thematik – „Homosexualität: Grundproblem der Weltreligionen“.

Theologiegeschichtliches Erbe nüchtern bilanzieren

In seiner Einleitung nahm der evangelische Kirchenhistoriker und BBAW-Präsident Christoph Markschies sowohl die Spekulationen über die sexuelle Orientierung Dietrich Bonhoeffers als auch dessen eigene ethischen Reflexionen zur Sexualität in den Blick. Bonhoeffer thematisierte Homosexualität zwar nur selten, erblickte in ihr jedoch eine „Schädigung der Gemeinschaft“. Anhand dieses Beispiels verdeutlichte Markschies die Notwendigkeit einer nüchternen Bilanzierung des theologiegeschichtlichen Erbes im Blick auf den Umgang mit Homosexualität.

Einen „kritischen Umgang mit der Tradition“ forderte mit Isolde Karle auch eine weitere evangelische Theologin im Rahmen der von Harald Asel, Redakteur des rbb24 Inforadio, moderierten Diskussion. Die Professorin für Praktische Theologie an der Ruhr-Universität Bochum sprach sich für eine „differenzierte Auseinandersetzung mit biblischen Aussagen“ aus. Diese müsse in Sachen Homosexualität auf dem heutigen und „nicht auf dem Wissensstand der Antike“ erfolgen. In einem solchen „Gespräch mit der Tradition“ sei die evangelische Ethik zum Konsens gelangt, dass Homosexualität keine Sünde sei.

Als Beispiel für Entwicklungen innerhalb der offiziellen Bibelauslegung durch das katholische Lehramt verwies Michael Brinkschröder, Theologe und Soziologe sowie Sprecher des Katholischen LSBT+ Komitees, auf das Anthropologie-Dokument „Was ist der Mensch“ der Päpstlichen Bibelkommission von 2019. Dessen Kapitel zur Homosexualität deutet die Sodom-Episode in Genesis 19 ausschließlich als Erzählung über gebrochene Gastfreundschaft. Damit vollzieht die Kommission eine Kehrtwende. Denn bisher war der Text als Verbot homosexueller Handlungen gelesen worden.

Von den Entwicklungen in der evangelischen und katholischen Theologie stach das globale Stimmungsbild, das Mouhanad Khorchide, Professor für Islamische Religionspädagogik an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, zeichnete, erkennbar ab: „Die Mehrheit der Muslime lehnt Homosexualität ohne Wenn und Aber ab.“ Dennoch sei er mit Blick auf die Entwicklungen in Deutschland optimistisch. Sorgen bereite ihm die „identitätspolitische Aufladung innerislamischer Debatten“ wie etwa um Homosexualität. Für diese seien zunehmend weniger theologische Motive als die Bewahrung der eigenen Identität gegenüber der westlichen Welt entscheidend.

Eine vergleichbare Dynamik benannte Alexander Grodensky, liberaler Landesrabbiner des Großherzogtums Luxemburg und Oberrabbiner der Liberalen Jüdischen Gemeinde Slowenien, für das Judentum. Für ihn stand dennoch fest: „Die Mehrheit der Juden sieht Homosexualität nicht als Sünde an.“ Zudem identifizierte er auch innerhalb des orthodoxen Judentums Aufbrüche, wenn etwa von der Halacha her argumentiert werde, dass man durchaus „ohne bestimmte Praktiken zusammenleben und sich lieben“ könne.

Fundierter interreligiöser Dialog ist wichtig

Zusammengenommen verdeutlichten die Diskussionsbeiträge, inwieweit bei den Haltungen zur Homosexualität sowohl zwischen als auch innerhalb der Monotheismen eine Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen herrscht. Umso wichtiger ist gerade in solchen Konstellationen der wissenschaftlich fundierte interreligiöse Dialog, wie ihn sich die „Berliner Religionsgespräche“ auf die Fahne geschrieben haben, Teil derer die Diskussion war.

Voraussichtlich am 4. Oktober werden „Orthodoxien“ Gegenstand des nächsten Religionsgesprächs sein, das BBAW und der Verlag der Weltreligionen gemeinsam mit rbb24 Inforadio sowie der Udo Keller Stiftung Forum Humanum verantworten. Die politische wie gesellschaftliche Aktualität dieses Themas dürfte – in Anknüpfung an Sparr – bereits durch die Brisanz der Diskussion über Homosexualität erwiesen sein.

Die Debatte wird am 22. Mai um 11 Uhr im „Forum“ von rbb24 Inforadio ausgestrahlt. Video-Mitschnitt: https://youtu.be/yftkaTsUzQ8

Erschienen in: Die Kirche – Evangelische Wochenzeitung 18/2022.

„Der Papst will die diplomatischen Kanäle offenhalten“

Die Russisch-Orthodoxe Kirche will an der elften Vollversammlung des Weltkirchenrates Anfang September in Karlsruhe teilnehmen. Der Heilige Synod der Kirche benannte vor wenigen Tagen eine Delegation von 22 Mitgliedern aus verschiedenen Regionen. Der Delegation soll der Moskauer Außenamtsleiter Metropolit Hilarion (Alfejew) vorstehen. Wegen der Haltung der Moskauer Kirchenleitung zur russischen Ukraine-Invasion war zuvor aber von einigen westlichen ÖRK-Mitgliedern ein Ausschluss des Moskauer Patriarchats aus dem Weltkirchenrat gefordert worden. Ein Gespräch mit Reinhard Flogaus, lutherischer Fachvertreter für Kirchen- und Konfessionskunde der Humboldt Universität in Berlin über die Ökumene in Zeiten des Krieges

Von Tilman A. Fischer

Herr Dr. Flogaus, lange hat die ROK darauf verzichtet, die von ihr als Verteidigung der „Russischen Welt“ legitimierten Kampfhandlungen als das zu bezeichnen, was sie sind: ein Krieg. Warum?

In der Tat hat Kyrill lange nur von der Verteidigung der Einheit der heiligen Rus’ gegen feindliche äußere Kräfte gesprochen und damit die von Putin vorgegebene Sprachregelung befolgt. Am vergangenen Sonntag hat er dann jedoch in der Hauptkirche der russischen Streitkräfte erstmals erklärt, Russland und seine Streitkräfte befänden sich gegenwärtig in einer „Zeit des Krieges“ und müssten bereit sein, ihr „Vaterland ohne Rücksicht auf das eigene Leben zu verteidigen“. Der Dienst der Streitkräfte in Kriegszeiten sei eine „Heldentat“. Russland sei ein „friedliebendes Land“ und die Russen „ein sehr friedliebendes, leidgeprüftes Volk“, das „kein Verlangen nach Kriegen“ habe. Doch weil sich eine „große Macht“ – gemeint ist der Westen – gegen das russische Volk gewandt habe, müssten die Russen jetzt ihr Heimatland verteidigen, „so wie es nur Russen können.“ Es sei jetzt eine Zeit angebrochen, die das historische Schicksal der russischen Nation bestimmen könnte. Er bete deshalb „für die Streitkräfte“ und „für die Sicherheit, Freiheit und wahre Unabhängigkeit“ Russlands. Schon kurz nach Kriegsbeginn hatte der Patriarch dem Chef der russischen Nationalgarde eine Marienikone überreicht mit dem Wunsch, dass Maria das russische Heer schützen möge. Dieser bedankte sich dafür und erklärte, dass die Ikone den Sieg der russischen Streitkräfte beschleunigen würde. Der Patriarch hat sich zwar wiederholt für die Herstellung von Frieden ausgesprochen, doch meint damit eindeutig einen Siegfrieden für Russland.

Dr. Reinhard Flogaus

Onufrij, Kiewer Metropolit der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats hat an Präsident Putin appellierte, den Krieg zu beenden, und sich loyal an die Seite der Verteidiger der ukrainischen Souveränität stellte. Wie steht es um die Einheit der ROK?

Die Einheit der ROK, so wie wir sie gekannt haben, ist derzeit akut gefährdet beziehungsweise  im Begriff, zu zerbrechen. Der Heilige Synod der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche Moskauer Patriarchats hat sich ganz klar gegen diesen Krieg ausgesprochen und Kyrill aufgefordert, sich für eine Beendigung des brudermörderischen Blutvergießens in der Ukraine auszusprechen. Aber auch die Kyrill unterstehenden Erzbischöfe von Estland und Litauen haben sich in den letzten Tagen deutlich von der Linie des Patriarchats abgegrenzt. Zudem hat Jean Renneteau, Metropolit des Erzbistums der orthodoxen Gemeinden russischer Tradition in Westeuropa sich klar von Kyrills Versuch distanziert, diesen grausamen und mörderischen Angriffskrieg als „metaphysischen Kampf“ zu rechtfertigen, und erklärt, dass die gegenwärtige Situation eine massive Gefahr für die Einheit seiner Metropolie darstelle. Und in Deutschland hat sich der Priester der russischen orthodoxen Gemeinde am Bodensee sogar wegen Kyrills Haltung inzwischen dem Ökumenischen Patriarchat unterstellt.

Auch innerhalb Russlands gibt es mutige Priester und Mönche, die einen Aufruf zur Niederlegung der Waffen und für die Selbstbestimmung der Ukraine unterzeichnet haben. Dies zeigt, dass auch die ROK durchaus nicht eine monolithische Einheit darstellt, sondern dass es neben der Kirchenleitung auch ganz andere Stimmen gibt. Natürlich müssen diejenigen, die innerhalb Russlands leben, mit kirchlichen und staatlichen Repressalien rechnen.

Gerade angesichts dieses Widerspruchs verwundert es, wie lange Papst Franziskus gebraucht hat, um öffentlich klare Worte zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine zu finden. Wie deuten Sie dies?

Papst Franziskus spricht – wie seine Vorgänger – die Sprache der Kirchendiplomatie. Zwar hat er inzwischen mehrfach den Krieg verurteilt und diesen als „grausam und sinnlos“, als „Schande für die ganze Menschheit“ und als „infantile und zerstörerische Aggression“ bezeichnet. Zwar hat er die ganze Menschheit zur Abschaffung des Krieges aufgerufen, sich gegen Waffengeschäfte und für Investitionen in Entwicklung, Gesundheit und Ernährung ausgesprochen – aber Russland als Aggressor des jetzigen Krieges hat er nach wie vor nicht benannt. Der Papst will offenbar die diplomatischen Kanäle offenhalten. Dies erinnert an die diplomatische Zurückhaltung, mit der Papst Pius XII. vor 80 Jahren öffentlich auf die Verbrechen des Nationalsozialismus reagierte. Ein solches Abwägen ist einerseits nachvollziehbar, andererseits sorgt es auch jetzt bei vielen Christen für Verwunderung.

Was tut der Papst konkret für die Beendigung des Krieges?

Am Hochfest der Verkündigung hat Franziskus Russland und die Ukraine dem allerreinsten Herzen der Gottesmutter geweiht. Dies versteht er als seinen spirituellen Beitrag für die Wiederherstellung des Friedens. Allerdings ruft ja auch Patriarch Kyrill die Gottesmutter an – für die ganze heilige Rus’ und für die Verteidigung von deren Einheit. Ob all dies helfen wird, wage ich nicht zu beurteilen. Geradezu gespenstisch mutet es aber an, dass praktisch zeitgleich mit den Massakern an der Zivilbevölkerung in Butscha der zweitmächtigste Mann der ROK, Metropolit Hilarion, ankündigt, dass die Vorbereitungen für eine Begegnung des Papstes mit Patriarch Kyrill noch in diesem Jahr so gut wie abgeschlossen seien. Solange Kyrill nicht von seiner bisherigen Haltung zu diesem Krieg abrückt und sich nicht für ein sofortiges Ende des russischen Angriffs auf die Ukraine ausspricht, wäre ein solches Treffen lediglich ein propagandistischer Erfolg für das Moskauer Patriarchat und könnte dem Ansehen des Heiligen Stuhls schaden.

Was ergibt sich daraus?

Es stellt sich für mich die grundsätzlichere Frage, wie lange ein solches diplomatisches Vorgehen vertretbar ist. Der Vorwurf, den viele Christen, auch orthodoxe Christen, Kyrill machen, ist ja, dass er den Angriffskrieg nicht beim Namen nennt, sondern ihn als Verteidigung der Einheit der Rus’ rechtfertigt und unterstützt. Daher ist zu fragen, wann der Moment erreicht ist, an dem man als gläubiger Christ bekennen und den Aggressor, den Schuldigen klar benennen muss, wenn man nicht selbst mitschuldig werden will.

Welche Konsequenzen sind für die Gestaltung der Ökumene in Europa zu ziehen?

Ich bin strikt dagegen, dass man – wie bereits gefordert wurde – versucht, die ROK aus dem Ökumenischen Rat der Kirchen auszuschließen. Die ROK besteht nicht nur aus ihrer derzeitigen Leitung. Auf die von der Linie des Patriarchen abweichenden Stimmen von Gläubigen und Geistlichen innerhalb wie außerhalb Russlands habe ich ja bereits hingewiesen. Daher sollte man auch auf Ebene der Weltökumene weiterhin das Gespräch mit der ROK in ihrer Breite suchen und fortführen. Allerdings sollte der ÖRK darauf achten, dass auch die Ukrainische Orthodoxe Kirche bei der anstehenden Vollversammlung in Karlsruhe angemessen vertreten sein kann, auch wenn Moskau inzwischen bis auf den Metropoliten von Mariupol alle ukrainischen Mitglieder aus seiner Delegation gestrichen hat.

Letztendlich wird es vor allem darauf ankommen, dass auch auf der Leitungsebene der ROK eine andere Haltung zum Krieg formuliert wird, damit es nicht zu einem dauerhaften Glaubwürdigkeitsverlust des Moskauer Patriarchats in der Ökumene kommt.

In ähnlicher Form erschienen am 7. April 2022 in der Zeitung „Die Tagespost“ (www.die-tagespost.de).

Auf den Spuren gelebter Religion

Fotografie-Ausstellung: Jutta Benzenberg fragt in der Guardini Galerie in Berlin-Kreuzberg nach Gott im einst atheistischen Albanien

Von Tilman Asmus Fischer

Unter den Theologen der Gegenwart hat sich insbesondere Wilhelm Gräb für eine Theologie der gelebten Religion – in Tradition der deutschen Aufklärung – starkgemacht. Also für eine Theologie, welche „die alltagspraktische gelebte, sich in der Kultur als ihrer Lebenswelt zum Ausdruck bringende wie durch diese ebenso geformte Religion der Menschen zu ihrem Gegenstand“ hat. Dabei kann gelebte Religion nicht nur anhand soziologischer Untersuchungen qualitativer wie quantitativer Art erschlossen werden. Vielmehr gibt es ganz unterschiedliche Zugänge, die zu einer interdisziplinären Perspektive einladen. Hierzu zählen nicht zuletzt auch Formen der künstlerischen Auseinandersetzung mit Alltagsreligiosität. Ein eindrückliches Beispiel hierfür bietet die gegenwärtig in der Guardini Galerie gezeigte Ausstellung „Gott in Albanien“ der Fotografin Jutta Benzenberg.

Dabei regt die Künstlerin mit dem Fokus auf Albanien – ihrer zweiten Heimat – in besonderer Weise zur Reflexion ein: Zum einen porträtiert sie eine südosteuropäische Gesellschaft, in der Christen und Muslime nicht erst seit Migrationsbewegungen des 20. Jahrhunderts neben- und miteinander leben. Zum anderen erhalten Religionsgemeinschaften in ihren Werken ein Gesicht, die nach Ende der Sozialistischen Volksrepublik Albanien ihrem jeweiligen Bekenntnis wieder offen Ausdruck verleihen können. Wie kaum ein anderer kommunistischer Diktator hatte Enver Hoxha in seinem Staat Religionen unterdrückt; 1967 war Albanien sogar ausdrücklich zum atheistischen Staat erklärt worden.

Wie seit der Befreiung vom Kommunismus Religion nun wieder im privaten wie öffentlichen Raum gelebt werden kann, verfolgt Benzenberg mit aufmerksamem Auge durch die Linse ihrer Kamera. Die so entstandenen Bilder sind ästhetisch anspruchsvoll wie schnörkellos – und dabei strikt dem Blick auf das Individuum verpflichtet: „Schräge Anschnitte und ungewöhnliche Durchblicke, Nahsicht im Detail und strenge Bildnisse en face – alle Stilmittel der Fotografie scheinen hier erlaubt, wenn sie für eine individuelle Perspektive stehen“, erläutert Kuratorin Frizzi Krella.

Für Porträts – wie dasjenige von George Frendo, römisch-katholischer Erzbischof von Tirana – greift die Benzenberg auch auf ausdrucksstarke Schwarz-Weiß-Fotografie zurück. Was ihre Bilder jedoch in besonderer Weise auszeichnet, ist die Bereitschaft „für den besonderen Moment, der darüber hinaus ein subtiles Augenzwinkern mit einschließt“, wie Krella erläutert. Dies zeigt sich etwa, wenn ein Teilnehmer des Ramadan auf dem Skanderbeg-Platz in Tirana konzentriert auf seinem Smartphone tippt, während die restliche versammelte Gemeinschaft sich auf das Gebet einzustimmen scheint. Hier, wie in vielen anderen Bildern vermischen sich – nochmals Krella – „Tradition, Ritual und zeitgenössischer Lebensgeist auf wunderbare Weise“. Auch und vielleicht gerade hierin kommt gelebte Religion zum Ausdruck.

Erschienen in: Die Kirche – Evangelische Wochenzeitung 1/2022.

„Gott in Albanien. Jutta Benzenberg“, bis 25. Februar 2022 in der Guardini Galerie, Askanischer Platz 4, 10963 Berlin. Weitere Informationen: http://www.guardini.de

Eine Insel in Bedrängnis

Seit mehreren Wochen verletzt die Luftwaffe der Volksrepublik China wiederholt den Luftraum von Taiwan. Die Insel wird von Peking als abtrünnige Provinz betrachtet – die Mehrheit der Taiwaner lehnt eine Vereinigung mit dem chinesischen Festland ab. Seit 1949 verwaltet sich die Insel selbst, 1996 gab es nach einer langen Phase der Einparteienherrschaft die ersten freien Präsidentschaftswahlen. Die Insel gilt mittlerweile als die vielleicht lebendigste Demokratie Ostasiens. Sie pflegt ein vielfältiges kulturelles Erbe. Daran haben gerade auch die in Taiwan vertretenen Religionen Anteil. Hierüber spricht der Schriftsteller und Religionswissenschaftler Stephan Thome im Interview mit Tilman A. Fischer. Thome lebt in Taipei, der Hauptstadt ­Taiwans. Unlängst erschien sein Reiseführer „Gebrauchsanweisung für Taiwan“.

Herr Thome, welche Bedeutung kommt Religion für die Entstehung einer taiwanischen Identität zu?

Man kann zeigen, dass in der Zeit der Kolonialherrschaft Japans über Taiwan ab Ende des 19. Jahrhunderts dem Kampf gegen die angestammten autochthonen (einheimischen, Anm. d. Red.) Religionen eine besondere Bedeutung zukam. Tempel waren immer auch soziale Orte, denen man misstraute, die man überwachen und teilweise schließen ließ. Taiwaner wurden gezwungen, in japanischen Shinto-Schreinen zu beten und traditionelle Rituale wurden umgeprägt. Diese gemeinsam erfahrene Unterdrückung hat dazu geführt, dass sich unter den Taiwanern so etwas wie eine gemeinsame Identität herausgebildet hat. Seit dieser Zeit lässt sich zurückver­folgen, wie sich die Taiwaner allmählich als Volk verstehen.

Auf die japanische Kolonialherrschaft folgte nach 1945 die Rückgabe an China, das sichinzwischen eine Republik nannte, aber de facto eine Diktatur war. Wie setzte sich in dieser Zeit das Verhältnis von Religion und Identität fort?

Wenn man über Religion in dieser Zeit spricht, muss man zunächst einmal das Christentum erwähnen.  Präsident Chiang Kai-shek war zum Christentum übergetreten, weil seine – in Amerika aufgewachsene – Frau der methodistischen Kirche ­angehörte. Er las in der Bibel und ging regelmäßig in die Kirche, wo er teilweise selbst predigte. Natürlich übernahm er gewisse Vorstellungen seines konfuzianisch geprägten Weltbildes, sodass eine sehr besondere Religiosität entstand, in der etwa Nächstenliebe keine so große Rolle spielte.

Die Methodisten waren somit auch die staatstragende und staatstreue Kirche, in der sich vor allem die Festländer wie Chiang Kai-shek versammelten, die 1949 nach Taiwan geflohen waren. Gleichzeitig gab es die Presbyterianer, die vor allem unter den Taiwanern und den Ureinwohnern missionierten – bis sich ­herausstellte, dass sie mehr und mehr in eine Frontstellung gegen das Regime und sein Streben nach einer homogen chinesischen Identität Taiwans gerieten.

Wie kam es hierzu?

Die Mission der Presbyterianer, aber auch der katholischen Kirche, stand für ein Christentum, das die indigenen Völker nicht unterdrückte, sondern vielmehr einen Freiraum für die Bewahrung ihrer kulturellen Identität und Sprachen darstellte. Chiang Kai-shek aber wollte das Taiwanische, also die Regionalsprache der Insel, aufgrund seiner Sinisierungspolitik nicht ­dulden: Die Menschen sollten hauptsächlich oder am besten ausschließlich Chinesisch sprechen. So ist es bezeichnend für die Frömmigkeit Chiang Kai-sheks, dass er etwa die Verbreitung von Bibeln, die die Missionare ins Taiwanische oder in Stammessprachen hatten übersetzen lassen, unterbinden ließ.

Welche Rolle spielen Presbyterianer und Methodisten im modernen Taiwan?

Zunächst muss man sagen: Der Anteil der Christen an der Bevölkerung Taiwans beträgt ungefähr fünf Prozent, wir reden also von einer gesellschaftlich eher kleinen Gruppe. Nach wie vor ist es aber so, dass die Ureinwohner, welche zwei Prozent der Bevölkerung ausmachen, zu fast 80 Prozent Christen sind. Unter ihnen dominiert die presbyterianische Kirche, die weiterhin das Renommee hat, sich gegen die Diktatur gestellt zu haben. 

Es gibt immer noch eine methodistische Kirche, die weiterhin eine starke Bindung an die vom Festland stammende Nationalpartei Kuomintang hat und sich auch immer wieder in gesellschaftliche Diskurse einmischt. So kam etwa der Widerstand gegen die Gleichstellung der Ehefür gleichgeschlechtliche Paare, die ­Taiwan als erster asiatischer Staat einführte, vor allem aus den Reihen der methodistischen Kirche. Am Ende handelt es sich aber eben um eine kleine Gruppe, die laut sein kann, aber keine gesellschaftliche Kraft wie in den USA darstellt.

Wer sind denn die einflussreichen religiösen Akteure der heutigen Zivilgesellschaft Taiwans?

Da muss man auf die buddhistischen Organisationen verweisen, weil es die größten sind und weil sie diese Rolle in den letzten Jahrzehnten am entschiedensten ausgeübt haben. Vor allem die von einer buddhistischen Nonne gegründete „Tzu Chi“ (Barmherzige Hilfe) war nicht unwichtig in den letzten Jahren als „Kirche“. In ihr wird das spirituelle, theologische Moment in soziales Engagement auf den unterschiedlichsten Feldern eingebettet: Katastrophenhilfe, Krankenhäuser. Hier werden zivilgesellschaftliche Werte gepflegt.

Man muss sich einbringen, jeder kann durch eigenes Engagement – aber auch durch Spenden – in eine Position gelangen, die Anerkennung verschafft, so wie bestimmte Ehrenämter hierzulande. Man hat ein Gemeinschaftserlebnis, das eine spirituelle Dimension hat und kann sich gut fühlen, wenn man sich engagiert. Freilich: Wenn man sich in den Buddhismus intellektuell vertieft, kann das schon sehr anspruchsvoll sein. Daher verzichtet man bei Tzu Chi hierauf, sodass manche Kritiker von einem Wohlfühl-Buddhismus sprechen.

Dieser hat zuletzt, wie sie in Ihrem Buch darstellen, auch eine nicht zu unterschätzende außenpolitische Bedeutung.

In einem Staat, der international nicht als Staat in Erscheinung treten kann, weil es ihm an Sichtbarkeit auf den internationalen Bühnen und Foren fehlt, nehmen solche Organisationen, die sehr finanzkräftig sind und über hunderte Dependancen im Ausland verfügen, gewissermaßen eine Stellvertreterfunktion wahr: Sie sind „Botschaften“ Taiwans – und wenn sie durch ihr soziales Engagement auch „nur“ die Botschaft eines „Wohlfühl-Buddhismus“ verbreiten, ist diese doch immer noch besser als die Botschaften, die aus der Volks­republik kommen.

Buchtipp: Stephan Thome, Gebrauchsanweisung für Taiwan, September 2021, Piper, 224 Seiten, 15 Euro

Taiwan – Überblick auf Geschichte und Politik

Auf Taiwan besteht die 1912 gegründete – und damals ganz China umfassende – Republik China fort. 1949 floh deren Staatsregierung samt ihrer antikommunistischen Anhänger auf die Insel, als Mao Tse-tung in Festlandchina die Volksrepublik China etablierte. Damit beanspruchten zwei Regierungen, ganz China zu vertreten: die Volksrepublik China unter Mao Tse-tung auf dem Festland und die Republik China unter Chiang Kai-shek auf Taiwan. Taiwan verwaltet sich seit 1949 selbst und bezeichnet sich offiziell als Republik China. 1971 übertrugen die Vereinten Nationen jedoch die alleinige Vertretung Chinas auf die Volks­republik; Taiwan musste daraufhin die UN verlassen. Gegenwärtig erkennen weltweit nur 14 Staaten Taiwan als souveränen Staat an. Bis Ende der 1980er Jahre regierte die vom Festland stammende Nationale Volkspartei Chinas (Kuomintang, KMT) Taiwan diktatorisch – unter der Führung von Präsident Chiang Kai-shek bis zu dessen Tod 1975 . In dieser Zeit erfolgte eine teils gewaltsame Sinisierung der Bevölkerung, also eine umfassende sprach­liche und kulturelle Assimilierung der ethnisch vielfältigen Inselbevölkerung in die Kultur Festlandchinas. Sie wurde von der KMT zur Norm erhoben. Unter der Regierung von Chiang Ching-kuo, Sohn des vorma­ligen Präsidenten, vollzog sich eine allmähliche Demokratisierung. Die seit 2016 regierende Präsidentin Tsai Ing-wen und ihre Demokratische Fortschrittspartei setzen auf die faktische Unabhängigkeit von der Volks­republik China. Die Mehrheit der Bevölkerung Taiwans versteht sich als Taiwaner und lehnt eine Vereinigung mit dem Festland ab. Daher droht die Volksrepublik China immer wieder damit, Taiwan mit Waffengewalt zu erobern, wenn dieses sich nicht freiwillig dem „Mutterland“ anschließt. Peking macht auch klar, dass es eine formelle Unabhängigkeitserklärung der Insel als Kriegsgrund sehen würde.

Erschienen in: Die Kirche – Evangelische Wochenzeitung 47/2021 und auf www.die-kirche.de.

Ein kantiger Ökumeniker

Jobst Schöne, Altbischof der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche, ist am 22. September verstorben

Von Tilman Asmus Fischer

Bereits am 22. September ist in Berlin Jobst Schöne im Alter von 89 Jahren heimgerufen worden. Von 1985 bis 1996 amtierte er als Bischof der Selbständigen Evangelisch- Lutherischen Kirche (SELK). Jobst Schöne gehörte zu den prägenden Perönlichkeiten der SELK nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und in der Wendezeit. Sowohl als Prediger als auch als Wissenschaftler strebte Schöne bis ins hohe Alter nach der Erschließung des Wesens lutherischer Theologie sowie nach dessen Vermittlung. So gab er etwa 2017 Martin Luthers „Kurtz Bekenntnis vom heiligen Sacrament“ (1545) als Faksimile und von ihm selbst besorgte Übertragung ins heutige Deutsch heraus.

Nachdem Jobst Schöne bereits 1968 durch die Universität Münster promoviert worden war, verlieh ihm 1978 das US-amerikanische Concordia Theological Seminary in Fort Wayne (Indiana) die Ehrendoktorwürde. Es mag auf Seiten des kirchenleitenden Wirkens seinem akademischen Interesse am ekklesiologischen, liturgischen und sakramententheologischen Fragen entsprochen haben, dass in seiner Amtszeit als Bischof sowohl die Erarbeitung des Evangelisch-Lutherischen Kirchengesangbuches als auch diejenige der Evangelisch-Lutherischen Kirchenagende für die SELK fiel.

Als selbstbewusster Vertreter seiner Kirche war Schöne zugleich ein Ökumeniker, der ebenso um die Verbundenheit mit anderen protestantischen beziehungsweise christlichen Kirchen bemüht war, wie er bewusst Spannungen einging. Diese betrafen nicht zuletzt theologische Differenzen zu den Gliedkirchen der EKD – vor allem in der Frage der Frauenordination, die Schöne in grundsätzlicher Weise ablehnte. Zugleich konnte er jedoch die zwischenkirchliche Kooperation in einzelnen Handlungsfeldern wertschätzen. So war ihm etwa sehr an der Mitwirkung des Diakonischen Werks der SELK als Mitglied im Diakonischen Werk der EKD gelegen.

Nach seiner Emeritierung – in deren Anschluss er nach Berlin zurückkehrte, wo er bereits vor 1985 als Pfarrer und Superintendent gewirkt hatte – konnte man ihn etwa als diskussionsfreudigen Teilnehmer bei Veranstaltungen des Ökumenischen Rates Berlin-Brandenburg erleben. Ebenso trat er immer wieder mit akademischen wie populären Veröffentlichungen in Erscheinung – bisweilen auch mit Kolumnen in der „Bild-Zeitung“, mit deren Begründer Axel Springer ihn eine lange seelsorgerliche Freundschaft verbunden hatte. Seinen Lebensabend verbrachte Jobst Schöne gemeinsam mit seiner Frau Ingrid im Zehlendorfer Fischerhüttenweg.

Erschienen in: Die Kirche – Evangelische Wochenzeitung 41/2021.