Wie kann man heute verantwortlich davon reden, dass Gott in der Welt handelt? Ein im April veröffentlichtes Votum des Theologischen Ausschusses der Union Evangelischer Kirchen befasst sich mit dem „Handeln Gottes in der Erfahrung des Glaubens“. Michael Beintker, emeritierter Professor für Systematische Theologie und bis Frühjahr 2021 Ausschussvorsitzender, erläutert im Interview mit Tilman Asmus Fischer, was es bedeutet, Gottes Handeln als Metapher zu verstehen. Er spricht darüber, wie wir angesichts von Corona von diesem Handeln noch singen können.
Herr Beintker, seit einigen Wochen darf in Gottesdiensten wieder gesungen werden. Aber können wir – zumal ‚nach Corona‘ – noch vom Handeln Gottes so singen wie früher? Konkret: was setzt es voraus, mit Paul Gerhardt (EG 325,5) einzustimmen: „Meiner Seele Wohlergehen hat er ja recht wohl bedacht, will dem Leibe Not entstehen, nimmt er’s gleichfalls wohl in acht“?
Es setzt auf alle Fälle ein vertrauensvolles Verhältnis zu Gott als dem Herrn meines Lebens voraus. Sodann ist das Vertrauen, dass mir Gott in den Nöten und Leiden meines Lebens hilft, unabdingbar. Gott kann diese Erwartung enttäuschen und das erleben wir auch immer wieder. Dann singen wir vielleicht mit einem reformierten Psalm von Gott, „der Lasten auf uns legt, doch uns mit unsern Lasten trägt“ (EG 281,3). Aber es ist auf alle Fälle so, dass man auch in der Enttäuschung der Gegenwart Gottes gewiss sein kann. Deshalb dürfen wir nicht aufhören zu singen, wie Paul Gerhard es uns empfiehlt.
Als sachgemäßes Verständnis vom Handeln Gottes schlägt das unter Ihrer Leitung erarbeitete Votum dasjenige einer Metapher vor. Und so lassen sich auch Paul Gerhardts Worte als metaphorische Rede verstehen. Worin liegen die Vorzüge eines metaphorischen Verständnisses des Handelns Gottes?
Dahinter steht ein Verständnis von Sprache, das die Übertragung von Sachverhalten in Bilder – darum geht es ja in Metaphern – ernstnimmt und erkennt: Mit Blick auf Gottes Geheimnis ist es so, dass wir von einer Wirklichkeit reden, für die wir eigentlich keine Sprache haben. Wir reden vom Unendlichen mit den Mitteln des Endlichen – oder vom Ewigen mit den Mitteln des Zeitlichen. Wir können uns eigentlich nur an der Sprache orientieren, die Gott uns selber schenkt. Das ist die Sprache des Glaubens, wie wir sie mit der Bibel erlernen. Die Metapher des Handelns hilft uns, das, was unsagbar und eigentlich auch gar nicht genau beschreibbar ist, auszusprechen und uns dafür einen Wirklichkeitsraum zu erschließen, den wir ohne sie nicht hätten. So führt uns die Metapher in die Weite und Tiefe der Wirklichkeit Gottes.
Für Paul Gerhardt gehören zu dieser Wirklichkeit auch – drei Strophen später besungen – Gottes „Strafen, seine Schläge“ als „Zeichen, dass mein Freund, der mich liebet, mein gedenke und mich von der schnöden Welt, die uns hart gefangen hält, durch das Kreuze zu ihm lenke“. Wie singbar ist das im Sommer 2021?
Hier wird es schwierig. Paul Gerhardt dichtet in einer Situation, in der die Rede von den Widrigkeiten, die mein Leben prägen, zu schnell mit den Strafen Gottes verknüpft worden sind. Dabei soll der Gedanke trösten, dass der, der mich liebt, mich auch schlägt – und dann sind die Schläge nicht so schlimm. Das können wir in dieser Weise nicht mehr sagen, weil wir nicht in das Geheimnis Gottes schauen, um zu ergründen, wo Strafmotive liegen könnten, sondern um die Liebe zu erkennen, mit der Gott uns hält. Aber es ist natürlich so, dass die Dinge, die uns umwerfen, uns in bestimmter Weise auch immer wieder zu neuen produktiven Erfahrungen führen können. Ich habe in meinem Leben jedenfalls niemals erlebt, dass eine negative, sehr einschneidende Erfahrung am Ende nicht doch auch eine Erfahrung war, in der ein versteckter Segen lag. Aber das kann man überhaupt erst hinterher sagen und nicht in der akuten Situation – und schon gar nicht, um damit den Gedanken zu artikulieren, dass wir bestraft werden.
Sollte also von Gottes Strafe in Theologie und Kirche geschwiegen werden? Der frühere Militärbischof Hartmut Löwe hatte ebendiese Tendenz angesichts der Pandemie im Mai 2020 kritisiert.
Ich fand es – ähnlich wie Altbischof Löwe – verwunderlich, dass manche gesagt haben: „Das kann überhaupt nicht Gottes Strafe oder Gottes Gericht sein.“ Da habe ich mich gefragt: Woher wissen die das eigentlich? Und umgekehrt, bei denjenigen, die gesagt haben: „Ja, das muss ein Ausdruck des Gerichts Gottes sein und Gott straft“, da habe ich mich genauso gefragt: Woher wissen die das? Eigentlich muss man Prophet sein, um Fragen dieser Art zu beantworten – und da wir keine Propheten sind, ist es uns verwehrt, diese Fragen in der einen oder anderen Richtung zu beantworten. Was wir freilich sagen müssen, ist dies: Auch diese Krise hat etwas mit Gott zu tun. Das sagen wir schon deshalb, um Gott anzurufen, dass er uns verschont und dass er uns errettet; dass er der Medizin Möglichkeiten öffnet, wie wir dem Virus standhalten. Man kann nicht sagen: Diese Krise hat mit Gott überhaupt nichts zu tun. Denn damit würde man sagen: Alle entscheidenden Dinge, die in dieser Welt passieren, haben letztlich mit Gott nichts zu tun. Das wäre, finde ich, Gott nicht gemäß und auch dem Leben und unserer Erfahrung nicht gemäß.
Zu den Erfahrungen von Christinnen und Christen aller Zeitalter gehörte immer wieder, dass Gott nicht – bzw. nicht so, wie erwartet – handelt. Wie lässt sich das in die metaphorische Rede vom Handeln einfügen, die doch Aktivität vorauszusetzen scheint?
Die binäre Unterscheidung von Aktivität und Passivität ist viel zu einfach. Insbesondere der Weg ans Kreuz zeigt, dass Gott sich zurücknehmen und aller Gewalt und Allmacht entäußern kann. Dies ist jedoch keine Passivität. Denn auch das Lassen oder Unterlassen geschieht aus einem bestimmten Motiv heraus und ist insofern auch Handeln. Und so erfährt man auch im Nicht-Handeln Gottes, dass er handelt – jedenfalls, wenn man davon überzeugt ist, dass Gott existiert und das Leben bestimmt. Die Klagepsalmen sind nicht geschrieben worden aus der Überzeugung, dass Gott sich irgendwo zurückgezogen hat. Vielmehr klingt in ihnen die Enttäuschung an, dass er nicht handelt, obwohl er handeln müsste. Die Erfahrung, dass Gott nicht handelt, ist eine Glaubenserfahrung, die vor Gott ausgehalten werden muss.
Könnte dies letztlich auch zu einem Umdenken für unsere eigene Lebensführung Anlass geben?
Der moderne Mensch misst sein Menschsein an seiner Aktivität. Es könnte sich also positiv auf unsere Lebensökonomie auswirken, wenn wir uns klarmachen, dass nicht einmal Gott, der am siebten Tag von seinem Schöpfungswerk ausruhte, pausenlos aktiv ist. Auch wir müssen nicht ständig leisten.
Zum Weiterlesen: Michael Beintker u. Albrecht Philipps (Hgg.), Das Handeln Gottes in der Erfahrung des Glaubens Ein Votum des Theologischen Ausschusses der Union Evangelischer Kirchen in der EKD (UEK) und Vorträge aus de, Theologischen Ausschuss zur Frage nach dem Handeln Gottes (= Evangelische Impulse, Bd. 9), Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2021. 310 Seiten, 19 Euro, ISBN 978-3-7887-3515-9.
Erschienen in: „die Kirche“ – Evangelische Wochenzeitung für Berlin, Brandenburg und die schlesische Oberlausitz 29/2021.