Den Code entschlüsseln

Die Auseinandersetzung mit religiösen Bildern ist ein Gewinn für den Glauben

Bilder können bilden, sie können dabei helfen, religiöses Wissen zu vermitteln. Sie können jedoch auch in die Irre führen, ideologisch verführen. Das zeigt ein Blick in Geschichte und Gegenwart. Wie können und sollten Christen mit der Macht der Bilder umgehen?

Von Tilman Asmus Fischer

Denken Sie einmal an Syrien! Oder auch nur an Hamburg St. Pauli! Was haben Sie vor Augen? Wenn Sie an Syrien gedacht haben, dann womöglich Bilder von Kriegshandlungen oder Terroristen des „Islamischen Staats“. Wenn Ihre Gedanken nach St. Pauli gewandert sind – vielleicht die Reeperbahn oder Spieler des örtlichen Fußballclubs.

Auf faszinierende – oder auch erschreckende – Weise verbinden sich Bilder, die wir heute meist aus Fernsehen oder Internet kennen, mit erst einmal eigentlich abstrakten Begriffen oder Ideen. Bei Syrien hätten Sie ebenso gut an die Levante-Küste oder bei St. Pauli an die barocke St.-Joseph-Kirche denken können. Dass Sie dies – wahrscheinlich – nicht getan haben, liegt daran, dass das menschliche Gehirn vielleicht nicht so frei denken kann, wie wir es gerne annehmen. Vielmehr unterliegen wir Wahrnehmungen und Eindrücken, die unsere Vorstellungen prägen – je öfter und nachdrücklicher wir ihnen begegnen, umso intensiver tun sie dies.

Diese Macht der Bilder ist Segen und Fluch zugleich – was sich auch in der Geschichte unserer Kirchen spiegelt. Ein Segen, weil uns Bilder helfen, Inhalte zu erinnern – sie sind in der Lage, etwas zu veranschaulichen, Gedankenstützen zu sein und Geschichten zu erzählen. Damit haben sie einen Bildungsauftrag. Etwa die ‚Laien-Bibeln‘ des Mittelalters, Wandmalereien, die der mehrheitlich analphabetischen Bevölkerung biblische Geschichten vor Augen führten. Berühmt und noch heute zu besichtigen sind etwa die karolingischen Malereien im Graubündner Benediktinerinnenkloster St. Johann in Müstair. Zum Fluch werden Bilder, wenn sie Menschen nicht nur Wissen vermitteln und Gedanken bildlich greifbar machen, sondern ihre Macht dazu missbraucht wird, Menschen in die Irre zu führen und einseitige Ansichten zu zementieren.

Hiervon zeugt ein anderes Motiv, das noch wenige Dutzend mal in Europa anzutreffen ist: Die „Judensau“, meist stereotyp dargestellte ‚Juden‘, die an den Zitzen einer Sau säugen. Was ist hier geschehen? Schweine galten und gelten Juden als unreine Tiere, die nicht verzehrt werden. Ganz in diesem Sinne konnte Jesus sagen: „Gebt das Heilige nicht den Hunden und werft eure Perlen nicht den Schweinen vor, denn sie könnten sie mit ihren Füßen zertreten und sich umwenden und euch zerreißen.“ Oder Petrus beschrieb die Abwendung vom Christentum mit den Worten: „Es ist ihnen widerfahren das Sprichwort: Der Hund frisst wieder, was er gespien hat; die Sau wälzt sich nach der Notdurft wieder im Kot.“ Im Mittelalter wurden diese Aussagen pervertiert und das antijudaistische Motiv der „Judensau“ entstand, das auch in Kirchen anzutreffen war. Die nur in geringen Teilen des Bibelstudiums mächtige Bevölkerung, war nicht in der Lage, kritisch hierüber zu reflektieren. So konnte ein Bild festgeschrieben werden, dass selbst späterhin als antisemitisches Sprichwort eine unheilige Geschichte haben sollte.

Wie steht es um uns heute, die wir des Lesens mächtig sind und uns doch insgesamt für recht aufgeklärte Menschen halten? Wir wissen, dass Bilder wichtig und hilfreich sind, um jungen Menschen Wissen und abstrakte Gedanken zu vermitteln. Das gilt auch für theologische und biblische Begriffe, mit denen viele in einer von den Naturwissenschaften geprägten Zeit immer weniger anfangen können.

Was ist etwa mit Engeln? Wie soll man heute – im Religions- oder Konfirmandenunterricht – über sie reden? Diesen Wesen, von denen die Bibel spricht, wendet sich ein Beitrag der unter anderem von der Nordkirche herausgegebenen Zeitschrift „Praxis Gemeindepädagogik“ (1/2015) zu. Als vielgestaltige Kunstwerke in Kirchen ließen Engel „uns einen Blick auf die andere Lebensdimension werfen, die als Himmel mitten unter uns schon da ist“, schreibt Andrea Felsenstein-Roßberg. Sie empfiehlt in der Gemeindepraxis einen „Engelspaziergang im Kirchenraum“, um „in den eigenen Kirchenräumen Engelgestalten zu suchen und miteinander ihre Botschaft zu entschlüsseln“. Die Teilnehmer sollen berichten, warum bestimmte Engel sie besonders angesprochen haben; daraufhin wird gemeinsam über die biblische Herkunft des Engels und darüber diskutiert, welche stilistische Prägung und „Frömmigkeitsrichtung“ in seiner Darstellung zum Ausdruck kommen. Am Ende steht die Frage, was uns der Engel heute sagen will.

Ein solches Herangehen befähigt den Menschen, mit dem Bild in den Dialog zu treten, sich den Aussagewert selbstständig zu erschließen. Und am Ende verinnerlicht man das religiöse Wissen über die Bilder und deren eigene theologische Deutung.

Doch gibt es auch Bilder, die vorgeben, christlich zu sein, die es jedoch auf den zweiten Blick gar nicht sind. Hier bedarf die Bildung nicht des Bildes, um zu neuen Einsichten zu gelangen. Vielmehr ist hier religiöse Bildung gefragt, um das Bild zu entschlüsseln und ihm nicht auf den Leim zu gehen. Ein solches Bild präsentierten zur Jahreswende angeblich „christliche Patrioten“ bei den Pegida-Demonstrationen: ein Kreuz in Nationalfarben.

Zu Recht protestierten Kirchenvertreter wie Christoph Landré von der Französischen Kirche zu Berlin: In einer Glosse trat er für das Kreuz als „Symbol der Befreiung aller Menschen von ihrer Schuld und als Zeichen der unverbrüchlichen Treue Gottes zu seinen Geschöpfen“ ein. Jesu Tod am Kreuz und das Bekenntnis zu ihm haben einen universalen Anspruch (2. Korinther 5, 16 f.): „Darum kennen wir von nun an niemanden mehr nach dem Fleisch; und auch wenn wir Christus gekannt haben nach dem Fleisch, so kennen wir ihn doch jetzt so nicht mehr. Darum: Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.“ Dieser Anspruch übersteigt Grenzen – und genau dieser tiefere Sinn wurde in Dresden pervertiert. Angesichts solchen Missbrauchs der christlichen Bildsprache ist es heute auch eine Aufgabe moderner Religionspädagogik, religiöse Bildung zu vermitteln, um solcher Verführung vorzubeugen.

Und vielleicht macht uns das Pegida-Kreuz auch deutlich, was uns das biblische Bilderverbot (2. Mose 20, 4) zu sagen hat? Einst, als es entstand, richtete es sich gegen Götzenstatuen, gegen die die Anhänger des einen nicht auf ein Bild reduzierbaren Gottes Israels immer wieder prophetisch redeten und kämpften. Gott soll, so das Alte Testament, nicht zu einem Götzen, gar einem Götzen unter vielen gemacht werden, der für Einzelinteressen in Anspruch genommen werden kann. Gott ist unverfügbar – auch für Pegida. Das braucht uns nicht zu Bilderstürmern machen. Solange wir nicht unsere Bilder für alleinverbindlich erklären, sondern sie als kreative menschliche Annäherung an Gott verstehen.

In ähnlicher Form erschienen in: Evangelische Zeitung 27/2015 (www.evangelische-zeitung.de).

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