Kieselstein im Schuh der Linken

Die Evangelische Kirche diskutierte mit Bodo Ramelow darüber, wo man zwischen Christentum und Marxismus steht

Von Tilman Asmus Fischer

Bodo Ramelow ist nicht nur der erste – und bisher einzige – Ministerpräsident, den die Partei „Die Linke“ im vereinigten Deutschland stellt. Der Chef der Erfurter Landesregierung, der in Rheinhessen aufwuchs – wo er aus der evangelischen Kirche austrat – und in Thüringen wieder in die evangelische Kirche eintrat, ist auch einer der profiliertesten Christen innerhalb seiner Partei.

Bodo Ramelow, Jörg Antoine, Hans-Georg Furian und Moderator Hans Dieter Heimendahl (von links).

Damit ist Bodo Ramelow prädestiniert, zum Dialog zwischen „Der Linken“ und den Kirchen beizutragen, der sich gegenwärtig auf unterschiedlichen Ebenen entwickelt. Hinzuweisen wäre etwa auf einen unlängst von der Rosa-Luxemburg-Stiftung herausgegebenen Sammelband zum „gemeinsamen Erbe von Christen und Marx“. Einen vergleichbaren Ansatz verfolgte die Podiumsdiskussion mit den Leitfragen „Wie viel Marx steckt in Jesus? Und wie viel Jesus in Marx?“, zu welcher der Kirchenkreis Lichtenberg-Oberspree am 29. Mai im Rahmen des „1. Lichtenberger Dialogs“ eingeladen hatte. Moderiert von Hans Dieter Heimendahl, Leiter der Hauptabteilung Kultur von Deutschlandradio Kultur, stellte sich Ramelow dem Disput mit Jörg Antoine, Konsistorialpräsident der EKBO, und Hans-Georg Furian, Superintendent des einladenden Kirchenkreises.

Die Stärke des Gesprächs lag weniger in einer tiefgehenden Reflexion des Verhältnisses von Christentum und Marxismus. Vielmehr vermochten Ministerpräsident und Superintendent mittels ihrer biografischen Zugänge auszuloten, was es persönlich bedeutet, im Spannungsfeld zwischen beiden Weltanschauungen zu leben.

Ramelow berichtete davon, zunächst allein in der Kirchenbank gesessen zu haben, nachdem er begonnen habe, sich innerhalb der damaligen PDS zu engagieren. Und er sprach darüber, was es bedeutet, als Christ „der Kieselstein im Schuh“ seiner Partei zu sein. So habe er von Beginn an immer wieder ein Thema auf die Agenda gesetzt: „Wie geht die PDS mit dem Thema ‚Christen in der DDR‘ um?“

Furian erinnerte daran, was es bedeutete, als Christ im real existierenden Sozialismus zu leben. Die eigenen Erfahrungen aus der DDR-Zeit führten ihn auch zu kritischen Kommentaren der vom Marxismus inspirierten politischen Konzepte: „Wenn ich denke, dass durch mein Handeln eine vollendete Welt entsteht, ist eigentlich jeder Mensch nur ein notwendiges Opfer auf dem Weg zu ihrer Erlangung.“ Daher solle man sich hüten, „eine Weltanschauung zu entwickeln, in der es am Ende notwendige Opfer“ gebe.

Während Ramelow fragte, ob dies nicht für alle Diktaturen zuträfe, und darauf hinwies, Marx habe keine angepassten Duckmäuser hervorbringen wollen, ließ Jörg Antoine Marx – bei aller Wertschätzung für dessen analytisches Werk – nicht so leicht davonkommen: Man könne nicht alles, was nach ihm schlecht gelaufen sei, Marx nicht anlasten. Ebenso sei „auch Luther Teil einer Schuldgeschichte, wenn auch nicht verantwortlich für die Shoah“. Vergleichbar problematisch sei Marx mit Blick auf bürgerliche Rechte: Er kenne „etwa keine Abwehrrechte gegen totalitäre Übergriffe auf den Bürger“.

Was bleibt? – „Glauben Sie an eine christliche oder sozialethische Parusie?“, fragte Heimendahl abschließend. Ramelows Antwort zur Wiederkunft Christi fiel abgeklärt aus: „Die großen Erzählungen überlasse ich den großen Erzählern“ – er selbst sei an der alltäglichen Praxis interessiert. Und hier sei gegenwärtig „gesellschaftlicher Kitt notwendig“ – der könne aus der Bibel oder von Marx genommen werden.

In ähnlicher Form erschienen in: Die Kirche – Evangelische Wochenzeitung 23/2018.

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