Zwischen Ratlosigkeit und Misstrauen

Fünf Fragen an Professor Dr. Jerzy Maćków

Professor Dr. Jerzy Maćków, Inhaber des Lehrstuhls für Vergleichende Politikwissenschaft (Mittel- und Osteuropa) an der Universität Regensburg, analysiert die aktuellen Spannungen in den deutsch-polnischen Beziehungen und innerhalb der politischen Landschaft Polens. Dabei zeigt er Defizite des politischen Diskurses auf allen Seiten auf.

2016 stand unter dem Vorzeichen des 25-jährigen Bestehens des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrages. In welchem Zustand sehen Sie heute diese Nachbarschaft?

Professor Dr. Jerzy Maćków (Foto: Privat)

In einer seltsamen Krise. Ökonomisch, menschlich, kulturell entwickeln sich die Beziehungen zwar nicht überragend – das war übrigens im letzten Vierteljahrhundert zu keinem Zeitpunkt der Fall gewesen – aber doch kontinuierlich zum Besseren. Politisch haben wir es dagegen mit einer Weigerung beider Seiten zu tun, nach gemeinsamen Interessen zu suchen. Diese irgendwie wehleidige Haltung hat sich auch in der Öffentlichkeit beider Länder breit gemacht.

Welchen Anteil hat die gegenwärtige polnische Regierungspolitik an diesem Zustand – welche womöglich auch deutsche Reaktionen auf diese?

Die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2015 brachten in Polen die überwältigenden Siege des großen politischen Lagers, das von der Partei PiS (Recht und Gerechtigkeit) geführt wird. Dieses Lager misstraut Deutschland und will enger mit den Wyschehrad-Staaten zusammenarbeiten. Da die deutschen Medien und die deutsche Diplomatie die Bundesrepublik auf eine solche Wende im Nachbarland nicht vorbereitet haben, ignoriert Deutschland nun etwas ratlos die Kritik der polnischen Regierung an den deutschen Geschäften mit Gazprom, an der „nicht nachvollziehbaren“ deutschen Flüchtlingspolitik oder daran, dass sich die Bundesrepublik stets gegen die NATO-Basen in Polen und im Baltikum aussprach; Präsident Obama setzte diesem Widerstand beim Warschauer NATO-Gipfel 2016 ein Ende. Umgekehrt bestätigt das deutsche Anprangern des rabiaten Umgangs der Parlamentsmehrheit mit dem Verfassungsgericht in Polen die polnische Regierung in ihrer Wahrnehmung, die Bundesrepublik finde sich damit nicht ab, dass das ihr gefügige polnische Establishment wegen seines Opportunismus und Arroganz abgewählt wurde.

Die Opposition gegen den Kurs der Regierung formiert sich im „Komitet Obrony Demokracji“ (Komitee zur Verteidigung der Demokratie). Welchen Einfluss hat diese Organisation auf den innerpolnischen und grenzübergreifenden politischen Diskurs?

Die Opposition in Polen ist geteilt, personell miserabel aufgestellt und unfähig, parlamentarische Arbeit zu betreiben. So rächt sich der Umstand, dass das Establishment im vergangenen Vierteljahrhundert keine richtigen politischen Parteien, sondern reine Machtvereine gebildet hat. Sowohl die bis 2015 regierende „Bürgerplattform“ (PO) als auch die nach postsowjetischem Muster eigens für Wahlkampfzwecke gegründete „Nowoczesna“ (Moderne) entbehren des Parteigeistes – „party spirit“. Gemäß der Parteienforschung bildet sich dieser in einer langen ideellen Auseinandersetzung aus, die beiden Gruppierungen ganz unbekannt ist. Auch die PiS wird übrigens stramm geführt, sie ist aber durch konsequente Rhetorik der sozialen Fürsorge, des Patriotismus und der Modernisierung ihren Hauptgegnern im Parlament ideell weit überlegen. Unter diesen Umständen wurde die Protestbewegung KOD, die von einem Teil der Mittelklasse unterstützt wird, zum dynamischsten Teil der Opposition. Die PO und die „Moderne“ haben sich in ihrer Schwäche entschieden, zu dieser außerparlamentarischen Opposition hinzuzustoßen. Deshalb führt die Opposition ihren politischen Kampf vor allem in den eigenen Massenmedien und auf der Straße. Diese Vorgehensweise gegen die nach wie vor populäre Regierung könnte in Gewalt umschlagen. Die PiS agiert zwar oft schier hoffnungslos tollpatschig und selbstherrlich, sie hat dennoch an einer solchen Eskalation kein Interesse. Auch die Übertragung des polnischen Konfliktes auf die EU-Ebene erhöht die Eskalationsgefahr.

Welche Bedeutung kommt in der jetzigen Situation der Erfahrung mit der sowjetischen Gewaltherrschaft und ihrer Überwindung zu: Dienen sie eher der historischen Legitimation des nationalkonservativen Lagers – oder der Bürgerrechtsbewegung?

Aus der Sicht der Regierung hat das bisherige Establishment die Werte, für die die Gegner des Kommunismus kämpften, nach 1989 verraten und eigene Interessen auf Kosten der einfachen Menschen und der polnischen Unabhängigkeit verfolgt. Sie blendet dabei aus, dass die Solidarność-
Bewegung auch für stabile, unabhängige Institutionen gekämpft hat. Die Opposition hat wiederum kein Problem damit, in ihren angeblichen Kampf für Demokratie und gegen den Totalitarismus Offiziere des kommunistischen Sicherheitsdienstes sowie der „Volksarmee“, deren Rentenprivilegien die PiS abgeschafft hat, einzuspannen. Diese großartige polnische Tradition wird also von den Konfliktparteien regelrecht ruiniert.

Was können die deutschen Vertriebenenverbände zu einer Entspannung der aktuellen Situation beitragen?

Sie sollen nicht den Eindruck erwecken, dass sie in dem in Polen so genannten „polnisch-polnischen Krieg“ Partei ergreifen. Vielmehr könnten sie mit Polen aller politischen Lager, die nach wie vor Europa-begeistert sind, europäische Interessen verfolgen. Es bietet sich in diesem Zusammenhang an, zusammen an der Unterstützung der für die Zukunft Europas augenblicklich zentralen Staaten – der Ukraine und des vom Kreml zunehmend bedrohten Belarus – zu arbeiten. Dabei könnten die deutschen Vertriebenen besonders in den von Versäumnissen der letzten Jahrzehnte gekennzeichneten Prozess der polnisch-ukrainischen Aussöhnung ihre wertvollen Erfahrungen einbringen.

Die Fragen stellte Tilman Asmus Fischer.

Erschienen in: Der Westpreuße – Unser Danzig 2/2017.

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