Diaspora im neuen „Tigerstaat“

Rumäniens Protestanten – eine Minderheit in schwierigen Zeiten

Von Tilman Asmus Fischer

„Mit einem BIP-Wachstum von 5,9 Prozent im zweiten Quartal des Jahres ist Rumänien die am schnellsten wachsende Volkswirtschaft. Aber nicht nur innerhalb des EU-Raums, sondern auf dem ganzen Europäischen Kontinent. Rumänien ist sozusagen Europas Tigerstaat.“ So liest sich die aktuelle Einschätzung eines Wirtschafts-Analysten. Bei allem wirtschaftlichen Erfolg kommt Rumänien jedoch nicht zur Ruhe: Nachdem es 2012 bereits zu einer heftigen Regierungskrise gekommen war, trat vergangenes Jahr nach einem schweren Brand in einer Bukarester Diskothek Ministerpräsident Victor Ponta zurück.

Eine anhaltende politische Belastung stellt die Flüchtlingspolitik dar. In den letzten Wochen war eine Annäherung zwischen der rumänischen Regierung und den Visegrad-Staaten zu beobachten, die die Haltung der deutschen Bundesregierung ablehnen. Für die meisten Flüchtlinge liegt Rumänien lediglich auf ihrer Route gen Westen; 2015 wurden in Rumänien selbst 1.266 Asylanträge gestellt.

Die Hoffnung des Volkes richtet sich – gerade mit Blick auf die unter ihm rigoros durchgeführte Korruptionsbekämpfung – auf ihren Staatspräsidenten Klaus Johannis. Der Lutheranter gehört der seit Jahrhunderten in Rumänien lebenden deutschen Volksgruppe der Siebenbürger Sachsen an.

Wie für die aus der Habsburgermonarchie hervorgegangenen Staaten typisch, ist Rumänien multinational und multireligiös geprägt: Während über 80 Prozent der Bevölkerung dem orthodoxen Glauben anhängen, gehören noch nicht einmal fünf Prozent der römisch-katholischen Kirche an. Juden stellen mit knapp über 6000 Personen eine ausgenommen kleine Minderheit dar. Muslime bilden zwar nur 0,3 Prozent der Bevölkerung, sind jedoch schon seit dem Mittelalter im heutigen Rumänien ansässig. Die 5,1 Prozent der Bevölkerung ausmachende protestantische Minderheit ist in sich wiederum pluralistisch bzw. spiegelt die Geschichte der unterschiedlichen Nationalitäten in der Region.

So ist die „Reformierte Kirche in Rumänien“ (470.000 Gemeindeglieder) ungarischsprachig und vornehmlich in den von Ungarn besiedelten Landesteilen vertreten. Die „Evangelische Kirche A. B. in Rumänien“ (A. B. = Augsburgischen Bekenntnisses; 12.840 Gemeindeglieder) entstand Mitte des 16. Jahrhunderts als lutherische Kirche der Siebenbürger Sachsen und ist dementsprechend bis heute deutschsprachig. Von ihr spaltete sich im 20. Jahrhundert die hauptsächlich ungarischsprachige „Evangelisch-Lutherische Kirche in Rumänien“ (32.000 Gemeindeglieder) ab, in der vor allem ungarische und slowakische Lutheraner ihre Heimat haben.

Neben der Bewältigung der spezifischen Herausforderungen einer Diasporakirche setzen sich die Protestanten innerhalb des ökumenischen Vereins „AIDRom“ (dt. Zwischenkirchliche Hilfe, Departement Rumänien) unter anderem für Asylbewerber ein, denen sie Rumänisch-Kurse sowie Beratung durch Sozialarbeiter anbieten und die sie bei der Bewältigung ihres Alltags begleiten. Ferner unterhält der Verein zwei Übergangswohnheime für Frauen und Kinder.

Das Gustav-Adolf-Werk (GAW) der EKBO fördert die evangelische Diaspora in Rumänien. In diesem Jahr sollen konkret zwei Bauprojekte in Wolkendorf (rum. Vulcan) und Elisabethstadt (rum. Dumbrăveni) unterstützt werden: In Wolkenburg steht der Umbau des Gemeindehauses an mit dem Ziel „einen großen Saal und weitere Gästezimmer zu gewinnen“, wie Cornelia Boschan, Geschäftsführerin des GAW der EKBO, berichtet. Hingegen muss in Elisabethstadt die Kirche saniert werden: „Die durch das Dach eindringende Feuchtigkeit zerstört die Wände und den Fußboden“, so Boschan.

GAW der EKBO: Jebensstr. 3, 10623 Berlin, Tel. +49 (0)30 31001-1100, Internet: http://www.gaw-berlin.de. Spendenkonto: IBAN: DE80 5206 0410 0003 9013 60.

In ähnlicher Form erschienen in: Die Kirche – Evangelische Wochenzeitung 39/2016.

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