Von Flucht und Vertreibung geprägt

Nur fast vier Prozent der Gesamtbevölkerung stellen die Evangelischen in Österreich. Dies hat seinen Grund auch in der jahrhundertelangen Verfolgung österreichischer Protestanten. Michael Bünker, Bischof der Evangelischen Kirche Augsburgischen Bekenntnisses in Österreich, spricht im Interview mit Tilman Asmus Fischer über die aktuelle Bedeutung dieser historischen Prägung.

Bischof Bünker, die Themen Flucht, Vertreibung, Migration sind heute wieder aktuell – allerdings auch historisch prägend für die Geschichte Ihrer Kirche. Was sind die zentralen Ereignisse?

Im wesentlichen sind es zwei Erfahrungen, die die evangelische Kirche in Österreich im Hinblick auf diese Themen geprägt haben: Das erste ist die Tatsache, dass tausende Evangelische in Österreich aus ihrer Heimat vertrieben worden sind. Das beginnt bereits Ende des 16. Jahrhunderts. Die letzte Vertreibung aus rein religiösen Gründen in Österreich und Mitteleuropa war dann in den 1830er Jahren die der Zillertaler Evangelischen. Das zweite ist die Erfahrung nach 1944 und 1945: Die Aufnahme der Vertriebenen und Geflüchteten – vor allem aus Siebenbürgen. Viele von ihnen haben sich in Österreich angesiedelt, Gemeinden gegründet und sind heute ein wichtiger Teil unserer Kirche.

Haben diese Ereignisse Frömmigkeit und kirchliches Leben in spezifischer Weise geprägt?

Hon.-Prof. Dr. Michael Bünker, Bischof der Evangelischen Kirche A.B. in Österreich, Vorsitzender des Evangelischen Oberkirchenrates A.u.H.B. in Österreich
(Foto: Uschmann)

Sie haben für die autochthonen Evangelischen in Österreich, dazu geführt, dass das Evangelisch-Sein immer klar von der katholischen Mehrheitskirche unterschieden sein musste. Und bis heute legen Evangelische da und dort großen Wert darauf, dass etwa die Pfarrer vertraut im schwarzen Talar zu sehen sind und dass in vielen anderen Punkten das typisch Evangelische gestärkt wird.

Wie werden Sie aus dieser Prägung einer Diaspora-Kirche heraus das Jahr 2017 begehen?

Für uns war von Anfang an klar: Wir gestalten dieses Jahr gemeinsam, die drei evangelischen Kirchen in Österreich, die lutherische, die reformierte und die methodistische. Von daher haben wir nie ein Luther-Jubiläum im Auge gehabt, sondern immer ein Reformationsjubiläum. Gesamtkirchlich wird es 2017 – neben dem großen Jubiläumsfest am 30. September auf dem Wiener Rathausplatz – unter anderem eine Ausstellung in Wien geben: Die meisten Wiener wissen nicht, dass die Bevölkerung ihrer Stadt bis weit ins 17 Jahrhundert hinein mehrheitlich evangelisch war. Die kulturprägende Kraft des Protestantismus deutlich zu machen, ist ein zentrales Anliegen.

Ist das österreichische Reformationsjubiläum – vor dem historischen Hintergrund der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie – in besonderer Weise europäisch?

Es macht eine der europäischen Facetten des Protestantismus sichtbar. Die Geschichte der Evangelischen in der k. u. k. Monarchie ist auf der einen Seite von der Erfahrung geprägt, dass diese Monarchie der gelebte Beweis war, dass es möglich ist, Einheit zu leben in einer kulturellen, politischen, sprachlichen, religiösen Pluralität. Auf der anderen Seite steht die Erfahrung der Diaspora: Im gesamten Donauraum waren und sind die Evangelischen in der Minderheit. Das ist etwas aktuell europäisches, denn Europa ist ein von Minderheiten geprägter Kontinent.

Dieses Europa sieht sich heute wieder mit Heimatlosen konfrontiert – wie positionieren Sie sich in der Flüchtlingskrise?

Irgendwann werden unsere Enkel uns fragen: Was habt Ihr gewusst? Und was habt Ihr getan? Ich denke, dass wir noch längst nicht in richtiger Form unserer Verantwortung gerecht werden. Die Menschen, die aus Syrien fliehen, werden aufgrund der Lage vor Ort nicht nur in den Nachbarländern bleiben können. Man muss den betroffenen Ländern wirkungsvoller helfen. Und zugleich müssen wir denjenigen, die vor Gewalt und Terror fliehen, Schutz und Aufnahme gewähren. Asyl ist ein Menschenrecht – und das kann man nicht teilen, kontingentieren und mit Zäunen reglementieren.

Das Interview entstand am 15. Februar in Berlin im Rahmen der Tagung „Evangelisches Leben in Österreich und Slowenien“ des Gustav-Adolf-Werks der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (www.gaw-berlin.de).

In ähnlicher Form erschienen in: Die Kirche – Evangelische Wochenzeitung 16/2016.

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