Marienbader Gespräche 2017 des Sudetendeutschen Rates
Anlässlich 25 Jahren deutschtschechoslowakischer Nachbarschaftsvertrag und 20 Jahren Deutsch-Tschechische Erklärung erörterten die diesjährigen Marienbader Gespräche des Sudetendeutschen Rates (SR) vom 28. bis 30. April Zukunftsperspektiven der (sudeten)deutsch-tscheschichschen Beziehungen. In Ihrer Eröffnung erinnerte die Generalsekretärin Christa Naaß an die Gründung der „Arbeitsgemeinschaft zur Wahrung sudetendeutscher Interessen“ vor 70 Jahren. Angesichts aktueller Herausforderungen gelte es, die historischen Erfahrungen der Sudetendeutschen fruchtbar zu machen.
Peter Barton berichtete über die aktuellen Fragen, mit denen das von ihm geleitete Sudetendeutsche Büro in Prag befasst ist. Zunehmend werde die Vertretung der Sudetendeutschen von tschechischen Politikern als Ansprechpartner und Vermittler in Fragen der deutsch-tschechischen Beziehungen wahrgenommen und konsultiert. Der Vortrag „Arbeit in Europa – EURES Bayern-Tschechien“ leitete am zweiten Tag der Marienbader Gespräche eine Reihe von Beiträgen ein, die Stand und Perspektiven unter dem Gesichtspunkt einzelner Fachgebiete beleuchteten. So berichtete Herbert Schmid, Geschäftsführer der Weiterbildungseinrichtung „Arbeit und Leben Bayern“, über die zunehmende Arbeitsplatzmobilität im bayerisch-tschechischen Grenzraum.
Die unterschieldichen Perspektiven der bayerischen Politik vermittelte eine von Dr. Peter Becher moderierte Podiumsdiskussion mit Vertretern sämtlicher Landtagsfraktionen, wobei der gemeinsame Einsatz für den Erhalt der europäischen Einheit im Zentrum des Gesprächs stand. Bernhard Seidenath MdL (CSU) bedauerte, dass Mahner, die zu Wendezeiten aus der geteilten Geschichte Europas heraus dessen Einheit gestaltet hätten, heute in der Politik fehlten. Bernhard Pohl MdL (Freie Wähler) würdigte das europäische Projekt als einen Rahmen für Völkerverständigung und Versöhnung. Markus Rinderspacher MdL (SPD) sah eine Bedrohung für den Rückhalt der EU in der Bevölkerung vor allem darin, dass sich „zu sehr ums Detail als um die große Linie gekümmert“ werde. Ulrike Gote (Bündnis 90/Die Grünen) rief dazu auf, bei allen euroskeptischen Stimmen aus Osteuropa nicht die überzeugten Europäer, etwa im Baltikum, zu vergessen.
Als Vertreter der tschechischen Politik begrüßte der SR Zdeněk Papoušek, der als Vertreter der Christdemokraten dem Senat, der oberen Kammer des tschechischen Parlaments angehört. Der Senator hob in seinem Vortrag die tschechischerseits unternommene Aufarbeitung des Brünner Todesmarsches hervor: Jedes Volk sei stolz auf seine Geschichte, jedoch müssten sich alle Menschen auch zu Gewalttaten aus der Vergangenheit verhalten.
Durch Dr. Libor Rouček MdEP und BdV-Vizepräsident Albrecht Schläger waren auch dieses Jahr wieder die beiden wichtigsten bilateral verankerten Akteure der deutsch-tschechischen Nachbarschaft vertreten: das Deutsch-Tschechische Gesprächsforum und der Deutsch-Tschechische Zukunftsfonds. Rouček betonte die Notwendigkeit, den binationalen Dialog in die Diskussion grundsätzlicher europapolitischer Fragestellungen einzubetten. Schläger illustrierte anhand einzelner Projekte, die vom Zukunftsfonds unterstützt werden, die Vielfältigkeit nachbarschaftlicher Arbeit.
In einer weiteren Podiumsdiskussion kamen Vertreter der jüngeren Generation mit ihrem spezifischen Blick auf die (sudeten)deutsch-tschechischen Beziehungen zu Wort: Dr. Ondřej Matějka vom Institut zur Erforschung totalitärer Regime, als Vertreterin des deutsch-tschechischen Jugendforums Kateřina Kabátová und der Bundespressereferent der Paneuropa-Jugend Deutschland e.V., Tilman Asmus Fischer (zugleich Berichterstatter). Die Journalistin Bára Procházková, die bereits die Podiumsdiskussion moderiert hatte, referierte am Abend ihrerseits über „Tschechische Medien im Wahljahr 2017“. Sie problematisierte unter anderem den Umgang tschechischer Medienkonsumenten mit Fake News.
Den letzten Sitzungstag eröffnete eine ökumenische Andacht, die von Teilnehmern der Tagung gehalten wurde. Im Anschluss hieran erinnerte Jan Šícha, Koordinator für den Aufbau der Sammlung des Collegium Bohemicum, an den 40. Jahrestag der Charta 77. In einem abschließenden Vortrag fasste der Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe und SR-Präsidiumsmitglied Bernd Posselt die unterschiedlichen Aspekte der Tagungsthematik zusammen. Ausgehend von persönlichen Erfahrungen beim Ende der kommunistischen Gewaltherrschaft in Ostmitteleuropa unterstrich Posselt die Bedeutung des gemeinsamen Einsatzes für ein vereintes Europa.
Nach Ende des Programms verabschiedeten die anwesenden Ratsmitglieder gemeinsam mit den Teilnehmern der Gespräche die „Marienbader Erklärung“. Hierin fordern sie unter anderem „die Verwirklichung eines europäischen Volksgruppenrechts“, die „Stärkung des demokratisch gewählten Europaparlaments“ und erteilen jeglicher Diskriminierung eine Absage. Die Erklärung schließt mit den Worten: „Nie wieder Krieg, nie wieder Vertreibung!“
Der vollständige Text der Marienbader Erklärung unter: http://www.sudetendeutscher-rat.de/unser-engagement/
Tilman Asmus Fischer
Erschienen in: DOD – Deutscher Ostdienst 03/2017.